NSU-Spitzel-Affäre: Kein Grund zum Vertrauen

Der Innenausschuss befragt Ex-Senator Ehrhart Körting (SPD) zu Thomas S., dem V-Mann und NSU-Helfer. Sein Fall verdeutlicht die Wirrungen der Informanten-Praxis.

V-Mann Thomas S. Bild: dpa

Als die Ermittler Stefan A., einen Cousin von Beate Zschäpe, zum Neonazitrio NSU befragen, äußert der sich auch zu einem alten Gesinnungsgenossen: Thomas S. Ein Skinhead sei der gewesen, erzählt der Zschäpe-Cousin. Und ein Spitzel. Das sei auch in der Szene bekannt gewesen. Der „wurde wohl als V-Mann überführt, ich glaube, dass das erzählt worden ist“.

So steht es im Vernehmungsprotokoll von Stefan A., das der taz vorliegt. Bereits im Februar befragten ihn die Ermittler – Monate bevor Thomas S. tatsächlich aufflog: als langjähriger V-Mann des Berliner Landeskriminalamts (LKA).

In der rechten Szene seit Jahren als V-Mann bekannt – und trotzdem von der Polizei auf eben diese Szene angesetzt? Nicht nur diese neue Wendung des Falls wirft Fragen auf. Am heutigen Montag wird sie vielleicht der vor fast einem Jahr aus dem Amt geschiedene Innensenator Ehrhart Körting (SPD) beantworten können. In seiner Amtszeit wurde Thomas S. vom LKA geführt, vom November 2000 bis zum Januar 2011. Der Innenausschuss hat Körting deshalb geladen. Der Ex-Senator aber behauptete schon im Vorfeld, nichts von dem V-Mann gewusst zu haben.

Die Opposition will mehr wissen. 130 Fragen zu Thomas S. reichte sie bei der Innenverwaltung ein, Fragen, die grundlegende Zweifel an der V-Leute-Praxis dokumentieren: Wie konnte ein Mann wie S. überhaupt „Vertrauensperson“ werden? Wie werden die Informanten in Berlin geführt? Wie viele von ihnen gibt es? Die Fragen berühren eine sonst verborgene Dunkelzone, in die nun Licht fallen soll. Und die mit dem Fall Thomas S. alle Wirrungen der V-Leute-Tätigkeit aufzeigt.

Als V-Mann nicht umstritten

Denn S. war als V-Mann nicht unumstritten. So soll Sachsens LKA im Jahr 2000 davon abgeraten haben, den damaligen Chemnitzer anzuwerben – weil nicht auszuschließen sei, dass er weitere Straftaten begehe. Die Berliner taten es trotzdem. Denn S. war damals eine Szene-Größe, einer der Köpfe des militanten Musiknetzwerks „Blood and Honor“.

Genau dafür brauchten ihn die Ermittler. Sie wollten eine Nazi-Band – „Landser“ aus Berlin – wegen ihrer Gewalttexte und Konspiration als kriminelle Vereinigung verurteilen. Thomas S. kannte die Band, hatte 10.000 DM in eine CD-Produktion gesteckt. Im Dezember 2003 sprach das Kammergericht Haft- und Bewährungsstrafen gegen die „Landser“-Mitglieder aus.

Das LKA hätte die Arbeit mit S. anschließend beenden können. Aber es hielt an „VP 562“ fest. Obwohl der nach seiner Aussage, wie Zschäpe-Cousin A. bestätigt, in der Szene „verbrannt“ war und von einem Gesinnungsgenossen sogar dafür verprügelt wurde. Und obwohl S. damals weiter in Sachsen lebt, fernab von Berlin.

Es bleibt nicht der einzige Widerspruch. Schon zu DDR-Zeiten soll Thomas S. gespitzelt haben, angesetzt auf Fußballfans. Nach der Wende wird er Wortführer in der Chemnitzer Skinhead-Szene, wird wegen Körperverletzung, Brandstiftung und Raub verurteilt, sitzt zwei Jahre im Knast. Kein Ausschlusskriterium, verteidigt sich heute Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers: Die Taten hätten ja vor der Anwerbung stattgefunden.

Konnte man ihm trauen?

Doch auch bei Thomas S. stellte sich die Grundfrage der V-Mann-Führer: Konnte man ihm trauen? Offenbar nur bedingt. Denn dass er die späteren Terroristen bestens kannte, mit Beate Zschäpe gar kurz liiert war, erzählte er dem LKA nicht. Auch nicht, dass er dem Trio 1998 beim Untertauchen half und ihm zuvor ein Kilo TNT lieferte.

Als Thomas S. im Februar 2002 seinem V-Mann-Führer doch von dem Trio erzählte, sprach er nur von drei Thüringern, die wegen Sprengstoff gesuchten würden und deren Aufenthaltsort ein befreundeter Neonazi, Jan W., kenne. Die Namen der Untergetauchten wisse er nicht. Ein ziemlich unwahrscheinlicher Gedächtnisverlust, hielt doch Thomas S. auch nach dem Untertauchen Kontakt. Ende 1999 soll er eine Spende für das Trio verweigert haben, da diese jetzt „jobben“ würden. Kurz zuvor hatte die Jenaer ihre ersten beiden Banküberfälle begangen.

Das nächste Problem: Offenbar herrschte bei der V-Leute-Führung Chaos, führte diese ein Eigenleben. Die Information von Thomas S. zum NSU wurde nicht weitergegeben. Die per Haftbefehl Gesuchten hatte man wohl gar nicht auf dem Schirm. Die Aktenhaltung zu S. ist lückenhaft, teils wurden Aussagen anderer V-Leute fälschlich dort eingeheftet. Auch mangelte es an Austausch mit anderen Behörden. Sonst wäre aufgefallen, dass die Polizei in Sachsen und Thüringen S. enger in Verbindung zum Trio brachte und ihn noch 2003 dazu befragen wollte.

Auch als bereits im Januar der Generalbundesanwalt Thomas S. als NSU-Helfer beschuldigt, bemerkt beim LKA noch niemand, dass dieser vor einem Jahr noch ihr Informant war. Dies geschieht erst, als das BKA im März auch Fotos schickt.

Zwei Ordner, 550 Seiten

38 Mal traf sich das Berliner LKA mit Thomas S. Zwei Ordner, 550 Seiten, füllen seine Aussagen über die rechte Musikszene oder über Hooligans zur Fußballweltmeisterschaft 2006. Viel bekam der heute 44-Jährige für seine Informationen nicht: 3.000 Euro über elf Jahre, größtenteils für Spesen. Bezahlt werden V-Leute, so heißt es bei Polizei und Verfassungsschutz, nach Güte und Aufwand ihrer Aussagen.

Wie viele V-Leute Berlin beschäftigt, darüber schweigen die Behörden. Linken-Fraktionschef Udo Wolf will sie gleich ganz abschalten: „Noch blinder als mit den V-Leuten“ könne der Sicherheitsapparat kaum sein. Mit rechten Kriminellen dürften keine Geschäfte gemacht werden. Auch die Grüne Clara Herrmann will beim Verfassungsschutz die „großen Fragen“ stellen.

Denn auch frühere bekannt gewordene V-Leute aus der Region waren kein Ruhmesblatt. So wurde 2006 bekannt, dass der Verfassungsschutz für Informationen aus der linken Szene Zuträger ausgerechnet im Berliner Sozialforum des Politikprofessors Peter Grottian platzierte. Und in Brandenburg wurde ein rechter V-Mann 2002 gar verurteilt, Neonazi-CDs in großem Stil vertrieben zu haben – unter Deckung seines Polizeiführers, der ihn gar vor einer Razzia warnte.

Innensenator Frank Henkel erklärt die V-Leute trotzdem für „unverzichtbar“ – und begründet es genau mit der Landser“-Verurteilung, die so möglich wurde. Auch die Opposition wird auf die Beantwortung ihres Fragekatalogs noch warten dürfen, den sie vor drei Wochen einreichte. Man prüfe, so Henkels Sprecher, „ein geeignetes Verfahren“ wie die Fragen zu beantworten seien.

Thomas S., heute angestellt bei einem Luftfahrttechnik-Unternehmen, dürfte all das nicht mehr tangieren. Sein Verfahren bei der Generalbundesanwaltschaft wird wahrscheinlich eingestellt: Die Hilfen für den NSU dürften verjährt sein.

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