Der NSU wohnt hier nicht mehr

TÄTER Das sächsische Zwickau gilt als der Ort, wo der Terror zu Hause war. Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe lebten hier jahrelang als unauffällige Nachbarn in der Frühlingsstraße. Ein Rundgang durch eine Stadt, die in Verruf geraten ist

AUS ZWICKAU GABRIELA M. KELLER

Die Worte haben sich festgesetzt, und dass jetzt alle schweigen, ändert nichts daran. Wäre es nicht um die drei Nazi-Terroristen gegangen, hätte vielleicht niemand hingehört. Braune Parolen bei einem Oberligaspiel in Ostdeutschland, so was passiert. So aber kam das eine zum anderen. Die Sprechchöre drangen aus dem Stadion und fanden ihren Weg in die Öffentlichkeit. „Zwickauer Terrorzelle, olé, olé, olé“, riefen die Leute, „N-S-U!“.

Zwickau, es ist wieder Herbst. Die asbestgraue Wolkenschicht liegt wie ein Deckel über dem Sportforum Sojus 31. Der Wind reißt an den Werbebannern, er riecht nach Bratwurst und nassem Laub. Gleich tritt der FSV Zwickau gegen den VfB Germania Halberstadt an; nach und nach verdichtet sich die rot-weiße Menge vor den Tribünen. Etwas abseits warten zwei Männer in flockbedruckten Fan-Shirts, weiße Atemwölkchen um die Köpfe. Auch sie haben jenen Tag nicht vergessen, die drei Tore gegen den FC Erzgebirge Aue II, dann die Parolen, die sich aus dem Publikum erhoben. „Wer sagt uns denn, dass das nicht gegnerische Fans waren, die sich hier eingeschmuggelt haben?“, fragt der eine, „das kann doch sein.“ Schulterzucken. „Sicher kochen immer mal die Emotionen hoch.“ Der andere nickt. „Es ist in den Medien aufgebauscht worden.“

Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Ein Jahr, in dem Zwickau immer wieder in die Schlagzeilen geriet. Als Ort, wo der Terror zu Hause war. Seit Anfang November 2011 ist bekannt, dass drei rechtsextreme Terroristen über zehn Jahre in dem Städtchen gelebt haben. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU). Als „Zwickauer Zelle“ prägten sie sich ein, bevor ihr sich selbst gegebener Name die Runde machte. Wie gehen die Zwickauer mit dem Wissen um, dass die Mörder sich mitten unter ihnen versteckt hielten? Der NSU war gerade aufgeflogen, da dröhnten diese Parolen vom Fußballplatz. Deswegen beginnt die Spurensuche im Sportforum Sojus 31.

Die kahl rasierten Schädel vom Fanclub A-Block

Zu sehen ist nichts, nicht auf den ersten Blick. Keine rechten Symbole, keine Nazi-Embleme, nicht mal mehr das Banner, das lange vorne an der Absperrung hing. „Gott mit uns“, stand in Frakturschrift auf der Stoffbahn. Eine Losung der Wehrmacht. Nun ist sie weg. Doch die Erinnerungen sind nicht weg. „Zwickauer Terrorzelle, olé, olé, olé.“

Wer danach fragt, blickt in abweisende Gesichter. Die meisten winken ab, ein stämmiger Mann mit Fanschal fährt hoch und schreit: „Nur weil einmal was passiert ist, sind wir jetzt alle Nazis, oder was?“ Es ist nicht ganz klar, ob er das Terrortrio meint oder die rechten Parolen.

Einer ist bereit, offen zu sprechen, ohne Namen. Er sagt, dass damals weniger als zehn Männer NSU-Slogans gegrölt haben. Die Fans ringsum hätten sie zum Schweigen gebracht. Nur soll es damit auch gut sein. Die Ermittlungen mussten eingestellt werden. Es fanden sich schlicht keine Zeugen, die aussagen wollten.

Dann plötzlich stehen sie da, neben dem Bierstand. Drei junge Männer, schwarz gekleidet, rasierte Schädel. Nach einer Weile werden sie sich ganz außen in die Kurve setzen. Dort sammeln sich bei jedem Spiel die Fans des rechtslastigen Fanclubs „A-Block“. Es mögen knapp zwei Dutzend sein; keiner scheint Notiz von ihnen zu nehmen.

Die NSU-Terroristen haben von Zwickau aus eine Blutspur quer durch Deutschland gezogen. Die Stadt wird für immer verknüpft bleiben mit einer Verbrechensserie, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nicht gegeben hat.

Zwickau, eine 93.000-Einwohner-Stadt im Südwesten Sachsens. Oberbürgermeisterin Pia Findeiß steht am Fenster ihres weitläufigen, eleganten Büros. Sie blickt über den Hauptmarkt, eine Zeile kleiner Geschäfte und Cafés, gotische Fassaden, lindgrün, zartgelb, hellblau gestrichen. Ein Bild wie gemacht für Postkarten. Die SPD-Politikerin, schlank, mit kurzen, dunklen Haaren, sagt, dass es eigentlich gut für Zwickau läuft. Sie erinnert sich noch daran, dass das einmal anders war, in den harten Jahren nach der Wende, in denen die Wirtschaft einbrach und jeder, der konnte, aus der Stadt wegzog. Eine Reportage in der Zeit beschrieb damals, wie die Hoffnungslosigkeit in Zwickau um sich griff. Der Titel: „Man möchte zum Mörder werden.“

Pia Findeiß ärgert sich bis heute über den Bericht. „So ist das hier nicht“, sagt sie kühl, „so war das auch früher nicht.“ Sie tritt an ihren Laptop und ruft eine Powerpoint-Präsentation auf. Alle Kurven zeigen nach oben. Die Arbeitslosigkeit liegt nur noch bei 7,6 Prozent, Auszubildende und Facharbeiter werden gesucht. Zwickau ist ein Autostandort. Zu DDR-Zeiten wurde hier der Trabant gebaut. Heute ist VW der größte Arbeitgeber.

Dann kam der 4. November 2011. Beate Zschäpe zündete die Wohnung an, in der das Trio gelebt hatte. Die Explosion riss nicht nur ein Loch in dieses Haus, sondern auch in diese bescheidene ostdeutsche Erfolgsgeschichte. Pia Findeiß lässt sich auf einem Sessel nieder und überlegt, wie sie anfangen soll. Sie hat schon oft erklärt, dass ihre Stadt nichts dafür kann. Drei Neonazis aus Jena, die sich hier einnisteten, unter falschen Namen, ohne sich bei den Ämtern zu melden. Wie hätte man das ahnen können? „Verfehlungen der Behörden in Zwickau“, sagt sie, „sind nicht bekannt.“ Sie spricht ganz ruhig, ohne große Gesten. Doch man spürt, dass sie den Schrecken noch nicht abgestreift hat. „Für mich sind noch viele Fragen offen“, sagt sie. „Wie das möglich sein konnte. Dass es so ein Netzwerk in Sachsen und Thüringen gibt, das das Leben der drei im Untergrund ermöglichte.“

Es ist auch nicht so, dass nichts geschehen wäre. Die Zwickauer haben Zeichen gesetzt und Kerzen angezündet. Es gab eine Gedenkminute und eine Demonstration. Schon 1995, lange bevor die Morde des NSU bekannt wurden, hat sich ein Bündnis für Demokratie und Toleranz formiert. Anfang dieses Jahres kamen 250 Vertreter aus Politik, Sicherheit und Zivilgesellschaft zusammen und überlegten, was gegen den Rechtsextremismus getan werden kann. Und jetzt? Pia Findeiß hebt die Augenbrauen. „Es gibt viele Leute, die sagen: Nun ist aber auch mal gut.“ Zum Jahrestag ist eine Podiumsdiskussion geplant, aber keine weitere Demonstration. Pia Findeiß verharmlost die Gefahren nicht. Doch ihr ist klar, dass die meisten Zwickauer wollen, dass endlich Ruhe ist; zugleich muss sie einen Weg finden, den ramponierten Ruf ihrer Stadt wieder zu richten. „Wir setzen auf Nachhaltigkeit“, sagt sie, „nicht auf Aktionismus.“

Über breite, leere Straßen geht es in den Stadtteil Weißenborn, dort, wo das Trio gelebt hat. Rechts zieht eine Eisenbahnbrücke vorbei, Graffiti zwischen Postern von Großraumdiskotheken. „Rudolf Heß“, das Wort „unsterblich“ ist noch lesbar, obwohl darüber gesprüht wurde: „Ein Schwein weniger.“

Das ungute Gefühl: „Wer weiß, was noch alles kommt?“

Auf der Frühlingsstraße bewegt sich nicht viel. Einfamilienhäuser haben ihren Platz hinter Buchsbaumhecken. Rote Ziegeldächer, stufig angebrachte Hausnummern. Nur die 26 fehlt. Ein kleiner Park füllt die Lücke. Nichts ist mehr zu sehen von der ausgebrannten Ruine, deren Bilder um die Welt gegangen sind. Als wäre sie aus dem Straßenbild radiert worden. Die Stadt hat das Gebäude abreißen lassen, aus Sorge, am Wohnort der Nazi-Terroristen könne ein Wallfahrtsort für die Rechten entstehen.

„Das ist doch alles gar nicht zu begreifen“, sagt die Frau, die ein paar Meter weiter mit der Elektrosense in ihrem Vorgarten steht. Sie zuckt die Schultern und murmelt: „Es gibt überall schwarze Schafe“, dann wendet sie sich der Gartenarbeit zu.

Das Monströse, das hinter biederen Fassaden lauert. Darum geht auch in den Krimis von Claudia Puhlfürst. „In meinen Büchern gibt es viele Leichen“, sagt sie, „aber am Ende muss das Böse geschnappt werden.“ Es dürfen keine Zweifel bleiben, weil es den Menschen sonst keine Ruhe lassen wird.

Die Autorin, eine schwere Frau mit Goldstaub um die Augen, sitzt in ihrer Wohnung in einem gediegenen Viertel nah des Zentrums, die aussieht wie ein Kuriositätenkabinett. Von der Vitrine baumelt die Hand eines Skeletts, hinter ihr schneidet eine Horde Holzkobolde starre Grimassen.

In ihren Thrillern geht es um Serienkiller oder Kindermörder, „das kranke Hirn“, wie sie sagt. Dieser Tage kommen ihr manchmal Geschichten über Neonazis in den Sinn. Dann schiebt sie die Einfälle wieder zur Seite. Viel zu eng ist ihre Heimat schon mit der Geschichte des NSU verflochten.

Sie ist oft auf Lesereise im Westen Deutschlands unterwegs. Sie sagt, dass sie früher immer überlegt hat, wie sie ihrem Publikum Zwickau begreiflich machen kann. Die viertgrößte Stadt Sachsens. Das Tor zum Erzgebirge. „Jetzt“, sagt sie, „muss ich niemandem mehr erklären, wo Zwickau liegt.“

Claudia Puhlfürst denkt noch oft darüber nach, ob sie einen der drei Terroristen vielleicht mal in der Stadt gesehen hat. „Da ist so ein ungutes Gefühl, weil ich glaube, dass der Bodensatz noch nicht zum Vorschein gekommen ist“, sagt sie, „wer weiß, was da noch alles kommt?“

Die Krimiautorin ist nicht die Einzige, die sich das fragt. Es muss Menschen gegeben haben, die von den NSU-Terroristen wussten, ihnen sogar halfen. Wer waren diese Leute? Und wie viele davon leben in Zwickau? Sabine Zimmermann, Bundestagsabgeordnete bei den Linken und DGB-Regionsvorsitzende, zählt zu denen, die schon seit Langem vor den Rechtsextremen warnen.

Sie stapft am Morgen in ihr Büro, das harte Neonlicht lässt die Linien in ihrer Mimik noch schärfer wirken. Zwar sind die braunen Strukturen in Zwickau schwach und schlecht ausgebildet. Was der Politikerin Sorge macht, ist, dass sie Teil eines weitverzweigten Netzwerkes sind, das sich über ganz Westsachsen erstreckt. Sie sagt: „Wir liegen hier mitten im Einfallstor Plauen-Zwickau-Chemnitz.“

Für sie gibt es keinen Zweifel, dass etwas getan werden muss. Doch mit ihrer Haltung steht sie ziemlich alleine da. Wirklich verändert habe sich seit November 2011 nichts: „Das ist, wovor ich immer gewarnt habe. Dass man wieder zur Tagesordnung übergeht. Und das ist jetzt der Fall.“

Zwar arbeite die Stadt gut mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz zusammen. Vom Land Sachsen dagegen komme keine Hilfe. Die Landesregierung will dem Bündnis sogar die Mittel kürzen. Ausgerechnet jetzt. Sabine Zimmermann wirft die Hände in die Luft und ruft: „Das muss man sich mal vorstellen!“

Zwickau ist keine braune Hochburg. Bei der letzten Stadtratswahl kam die NPD auf knapp 3,6 Prozent, deutlich unter sächsischem Durchschnitt. Ein NPD-Mann zog in den Stadtrat, ein Arbeitsloser, der inzwischen aus der Partei ausgetreten ist. Er lehnt ein Gespräch ab. „Keine Zeit, ich muss zum Arbeitsamt“, sagt er am Telefon. Seine Stimme klingt schleppend und belegt.

Zwickaus Postkartenidylle endet gleich hinter dem Hauptmarkt. Dort bedrängen hohe Plattenbauten einen Netto-Markendiscount. Mit Zwickau ist es wieder aufwärts gegangen. Doch nicht alle sind mitgekommen.

Auf einer Bank unter einer Kastanie hocken zwei Männer, einer im Blaumann, einer im Camouflage-Anorak, und ein blasses, dünnes Mädchen. Bierflaschen in den Händen, Leere im Blick. Bei ihnen steht ein weiterer Mann mit sehr kurzen blonden Haaren. Er trägt einen Lonsdale-Blouson und eine Gürteltasche von Thor Steinar. Was sie über die NSU-Morde denken? „Ganz schlimme Sache“, sagt der Blonde, dehnt die Worte genüsslich und grinst. Die drei auf der Bank lachen trocken und rau.

Sie geben sich Mühe, feindselig zu wirken, doch die Fassade hält nicht lange. Ihr Frust ist stärker, und dann sprudelt es nur so aus ihnen heraus. Der Blonde macht eine Ausbildung, das Mädchen ist Altenpflegerin, die beiden anderen leben von Hartz IV. „Es passiert ja nix, in dem Saustall hier!“, röhrt der mit dem Anorak. „Oder sie stellen Kanaken ein“, schreit das Mädchen. Die Vier verbergen ihre Gesinnung nicht; der Blonde ist bei den „Freien Kräften“ aktiv. Allerdings passt es ihnen gar nicht, wie ihre Stadt ins Gerede gekommen ist. „Du bist ja überall bekannt jetzt, als Zwickauer“, ruft der im Anorak, „da wirste sofort abgestempelt.“ Der Blonde murmelt: „Und die Nationalen sind mal wieder die Bösen.“ Sie starren eine Weile trübe vor sich hin, vier Rechte, die sich beklagen, dass ihre Stadt in die braune Ecke gerückt wird. Das alles passt nicht recht zusammen. Deutlich wird nur ihr vages Gefühl, schlecht weggekommen zu sein. Mal wieder. „Das möcht ich noch mal erleben, dass man hier vernünftige Arbeit kriegt“, sagt der im Anorak. Zwar hatte er bis vor Kurzem eine Stelle. Dann fiel ihm auf, dass sein Gehalt nur 50 Euro über dem Hartz-IV-Satz lag, „da hab ich gesagt: Arsch lecken.“

Das Polizeirevier liegt ganz in der Nähe. Der junge Revierleiter, Polizeirat Alexander Beitz, mit randloser Brille und blondem Kurzhaarschnitt, sitzt an seinem Schreibtisch. Es fängt schon wieder an mit den Presseanfragen, jetzt, wo der Jahrestag näher rückt. „Am Mittwoch ist das schwedische Fernsehen hier“, sagt Beitz. Sonst ist längst wieder Alltag eingekehrt. „Das Leben geht weiter“, sagt Beitz. Wenn seine Leute gerufen werden, dann meist wegen Keller- oder Autoeinbrüchen. Neonazis spielen keine große Rolle. Früher schon kaum, jetzt noch weniger. „Seit dem Auffliegen des NSU halten die sich stark im Hintergrund.“ Doch warum haben sich die NSU-Terroristen ausgerechnet in Zwickau versteckt? Beitz seufzt. „Tja“, sagt er. „Schwer zu sagen. Das war ein dicker Brocken. Ein Donnerwetter. Wahrscheinlich ist man zu sehr mit der Aufarbeitung befasst, als dass man sich wirklich Gedanken über die Hintergründe machen könnte.“

Wer mehr über rechtsextreme Gewalt erfahren will, kann Erkan Gül fragen. Er läuft früh am Abend durch die Straßen der Stadt, ein kurdischer Türke, 26 Jahre alt, in Sakko und Jeans, mit dünnem Bart um den Mund. Erkan Gül, der eigentlich anders heißt, ist nichts mehr anzusehen. Nur ab und an hält er inne, legt sich die Fingerkuppen an die Schläfe und atmet tief durch. „Ich habe noch Schmerzen im Kopf und am Auge“, sagt er. „Der Arzt meint, noch zwei Monate, bis ich wieder arbeiten kann.“

In der Bosestraße bleibt er stehen. „Tanzcafé Eden“ steht auf dem Neonschild gegenüber. Hier ist es geschehen. Es war spät an diesem Tag im August und Gül wollte gerade aufbrechen, als ein Kleinbus hielt. Etwa zehn Männer sprangen heraus. Sie brüllten „Heil Hitler“ und „Scheiß Kanaken.“ Gül wusste gleich, dass es schlimm ausgehen würde. Sie hätten ihn fast zu Tode geprügelt. Er lag zwei Tage im Koma, zehn auf der Intensivstation.

Erkan Gül hat Angst vor seinen Mitbürgern

Er zündet sich eine Zigarette an und senkt den Blick. „Was soll ich sagen, ich bin ängstlich geworden“, sagt er leise. „Das ist peinlich, aber so ist es.“ Es gibt nicht einmal zwei Prozent Ausländer in Zwickau. Gül weiß, dass jemand wie er, mit schwarzen Haaren und einem Hautton, der ein paar Nuancen dunkler ist, heraussticht. Es macht ihn unsicher, nicht erst seit dem Angriff. Wenn die Stadtpolitiker von Zwickau sprechen, dann geht es meist um eine tolerante, friedliche Stadt. Erkan Gül sieht die Wirklichkeit aus einem anderen Winkel. Er sagt, dass er fast immer, wenn er im Dunkeln unterwegs ist, Pöbeleien hört: „Guck dir den Kanaken an.“ Er hat noch nie erlebt, dass einer der Passanten eingegriffen hätte. „Ich glaube, die Leute haben auch Angst“, sagt er, „ganz bestimmt sogar.“

Erkan Gül wird unruhig, er ist abends nicht mehr gerne draußen. Ringsum knipsen die Geschäfte und Cafés ihre Lichter an. Auf dem Hauptmarkt flanieren noch ein paar Teenager, zwei Touristen fotografieren die Apostelstatuen an der St-Marien-Kirche. Sonst ist alles still.