Blaue Augen, großes Herz

FILMKUNST Bei der Verleihung des Regine-Hildebrandt-Preises an den Filmemacher Andreas Dresen wird dieser mit Lob überschüttet – für seine Darstellung des ganz normalen Alltags ganz normaler Helden

Gleich am Anfang ihrer Laudatio auf Andreas Dresen sagt die Autorin und Journalistin Regine Sylvester etwas sehr Schönes. Sie erzählt, Andreas Dresen habe sie immer an eine Figur aus einem russischen Märchen erinnert. An einen Bauernsohn nämlich, einen Iwan oder Pjotr zum Beispiel, der in die Welt hinausmuss, weil er der Jüngste ist. Der nichts hat als seine blauen Augen, sein ungekämmtes Haar und sein großes Herz.

Regine Sylvester hat damit etwas sehr Wichtiges am Filmemacher Dresen ausgemacht, der am Montagabend im Willy-Brandt-Haus den Regine-Hildebrandt-Preis verliehen bekam. Seit 2002 wird dieser Preis von der SPD, einem Verein für Migrations- und Integrationsprojekte sowie dem „Bündnis gegen rechts im Kyffhäuserkreis“ aus Thüringen vergeben – in diesem Jahr erstmals an einen Kulturschaffenden.

Bei Sekt, Selters und Flammkuchen wurde der 1963 in Gera geborene Regisseur durch sämtliche Redner, darunter SPD-Chef Sigmar Gabriel und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, mit einem ganzen Swimmingpool voll Lob übergossen. Und das vor allem für seinen liebevollen Blick auf den „ganz normalen Alltag“ der „gewöhnlichen Leute“, die „nicht ganz oben sind, aber auch nicht ganz unten“ – Leute also, für die sich auch Regine Hildebrandt einsetzte. Andreas Dresen, wurde gesagt, sei zudem einer der ersten Regisseure, der sich differenziert mit der Realität der SED-Diktatur auseinandergesetzt habe.

All dies ist richtig und wahr, man denke nur an Dresens gleichermaßen durchschnittliche und dennoch anrührende Helden wie die alleinerziehende Mutter in „Sommer vorm Balkon“ oder die Straßenbahnfahrerin in „Halt auf freier Strecke“. Das originelle Bild jedoch, das Regine Sylvester von Dresen als jüngstem Bauernsohn entwirft: Es ist trotzdem das, das am meisten überzeugt. Denn wie dieser wirkt Andreas Dresen wirklich in jedem Interview – und auch an diesem Abend. Er scheint ein glücklicher, großer Junge zu sein, der sich auf alles einlässt wie beim ersten Mal und weder als Mensch noch als Erzähler zu Zynismus fähig scheint.

Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Bauernsohn und Dresen. Denn was beim jüngsten Sohn der Generationenkonflikt erzwang, das löste bei Dresen der Fall der Mauer aus. Tatsächlich erzählt der charmante Filmemacher in seiner Dankesrede von diesem Tag 1989, als auch er am Brandenburger Tor auf der Mauer stand und sich von nun an den Problemen stellen musste, die ihn umgaben. „Das war der Moment, in dem ich verstanden habe, dass die Wirklichkeit von Menschen gemacht ist“, sagt er. „Seitdem nehme ich die Dinge nicht mehr hin, wenn sie mir nicht gefallen.“ SUSANNE MESSMER