Terror gegen Politik in Deutschland

GEWALT Sie wollen ihren Gegnern Angst machen. Sie kommen meist nachts und schlagen an manchen Orten so oft zu, dass ihre Opfer keine Versicherung mehr finden, die für die Schäden aufkommt: Gewalttäter, die Parteipolitiker attackieren. Über 600 Fälle in 3 Jahren

In den beiden Großstädten eskalierte die Gewalt besonders häufig, oft aus aktuellem, politischem Anlass. In Berlin kommen die Angriffe mehrheitlich von rechter, in Hamburg von linker Seite. Am 1. August und am 22. August 2012 werden die Wohnungen der Berliner Politiker Nico Schmolke, SPD, und Hans Erxleben, Linkspartei, angegriffen. Die Täter schmeißen Scheiben ein und sprengen die Briefkästen. Erxleben und Schmolke hatten sich zuvor in Berlin-Schöneweide gegen Nazis engagiert. In Hamburg wird die Wohnung von Justizsenatorin Jana Schiedeck mit Stei-nen und Farbe beworfen. Als Grund nennen die Täter die Gentrifizierung im Stadtteil. Das Haus von Burkhardt Müller-Sönksen, Vorsitzender im Verteidigungsausschuss, wird „wegen der Afghanistanpolitik“ attackiert.

VON JOHANNES WENDT

In den beiden Ruhrgebietsstädten gab es in den letzten drei Jahren insgesamt 19 Vorfälle. Die Täter warfen mit Pflastersteinen die Scheiben der Büros von SPD, Die Linke, DKP und MLPD ein und hinterließen Hakenkreuze. Die Angriffsserien endeten sowohl in Hamm als auch in Dortmund mit Festnahmen durch die Polizei und dem Verbot der Kameradschaften Hamm und Ruhrgebiet 2012. Die Wirkung solcher Maßnahmen bestätigt auch die taz-Recherche. Im Vergleich zu den beiden Vorjahren sank 2012 die Anzahl der Fälle deutlich. Das könnte mit dem Fahndungsdruck zusam-menhängen, der seit Aufdeckung des NSU erhöht wurde. Bei vielen Kamerad-schaften gab es Razzien; etwa 50 untergetauchte Nazis wurden mittlerweile festgenommen.

BERLIN taz | Die Explosion seines Briefkastens sorgte für Schlagzeilen. Am letzten Donnerstag ging die Meldung um, auf das Wahlkreisbüro des SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy im niedersächsischen Stadthagen sei ein Anschlag verübt worden. Später stellte sich heraus, dass es nur ein Feuerwerkskörper war, der den Briefkasten zerstörte. Da Edathy den Bundestagsuntersuchungsausschuss zur Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) leitet, liegt ein politisches Motiv jedoch nahe.

Im Kommunalwahlkampf 2010 findet der Linkspartei-Politiker Christian Stähle in seinem Briefkasten eine blutige Tierleber. Wenige Wochen später werden die Bremsschläuche seines Autos durchtrennt, Stähle bleibt nur durch Zufall unverletzt. Die Ermittlungen der Polizei laufen ins Leere. Stähle sagt, die Neonazis im Ort würden offen und dreist handeln. Sie sind in Schützenvereinen und Sportgruppen ver-ankert und machen sich dort mit der Bevölkerung gemein. Nichts deutet in der Region in der Nähe von Stuttgart auf Strukturschwäche hin, womit rechtsextreme Vorfälle gern erklärt werden. „Die Straftaten werden in so einem Umfeld eher als vorübergehende Jugendexzesse abgetan als anderswo“, sagt Stephan Bundschuh, Gewaltforscher aus Koblenz.

Nur einen Tag später wurde auf das Büro des Linken-Bundestagsabgeordneten Stefan Liebich im Berliner Bezirk Pankow ein Farbanschlag verübt. In der Nacht zu Freitag entdeckten Polizisten, dass jemand „Judas“ und „Stasi raus“ auf die Fassade geschrieben hatte. Edathy und Liebich sind nicht die einzigen Betroffenen, es sind nur zwei besonders prominente Fälle. In den letzten drei Jahren, von 2010 bis 2012, gab es mehr als 600 Übergriffe auf Politiker und deren Parteibüros. Jeden zweiten Tag stehen ihre Mitarbeiter morgens vor Hakenkreuzen, Scherben, Buttersäure oder gar Einschusslöchern. Das haben Recherchen der taz ergeben, die sich auf Berichte in der Lokalpresse und von Opferverbänden, auf Gespräche mit Mitarbeitern der Büros sowie Informationen der Parteien und Landeskriminalämter stützen. Danach zeigt sich: Fast überall werden Parteibüros Ziel solcher Übergriffe. In rund drei von vier Fällen sind es Büros von SPD, Grünen, Linken oder noch linkeren Parteien, die attackiert werden. Über die Hälfte der Anschläge traf die Partei Die Linke. Die Schwerpunkte der Gewalttaten liegen dabei klar in den neuen Bundesländern. In Mecklenburg-Vorpommern wurden im Verhältnis zur Einwohnerzahl die meisten Delikte gezählt. Aber auch andernorts häufen sich Gewaltakte überall dort, wo rechte Strukturen bestehen, seien es NPD-Verbände oder Autonome Nationalisten.

Südlich von Rostock liegt die Kreisstadt Güstrow. Im Vorfeld der Landtagswahl 2011 gab es hier allein 15 Angriffe auf Parteibüros. Betroffen waren Büros von CDU, SPD und Die Linke. Die Angriffe erfolgten oft zeitgleich oder kurz hinter-einander. Die Polizei konnte keinen der Täter fassen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es eine flächendeckende, rechte Szene. Im Landtag sitzt seit 2006 die NPD, zuletzt erzielten die Rechtsextremen hier sechs Prozent aller Stimmen. In der Region Ostvorpommern und Nordwestmecklen-burg siedeln sich seit Jahren gezielt Nazis aus Deutschland an. In Mecklen-burg-Vorpommern gab es, gemessen an der Einwohnerzahl, die mit Abstand meisten Angriffe auf Politiker und Parteibüros.

Auch in Hoyerswerda gibt es Rechte. Ihnen zum Trotz hat die Bundestagsabgeordnete Caren Lay von der Linkspartei hier ein Büro eröffnet, als alternativen Ort. Vier Schaufenster reichen bis zur Decke, davor stehen Topfpflanzen auf der Fensterbank. „Es soll zum Mitmachen einladen“, sagt Lay. Diese Offenheit macht Parteibüros aber auch angreifbar. Stephan Bundschuh von der Hochschule Koblenz hält solche Büros für wichtig, aber sie seien eben auch besonders einfach anzugreifen. „Es ist für die Täter nicht besonders riskant, nachts einen Stein in eine Schaufensterscheibe zu schmeißen“, sagt er, „die mediale Aufmerksamkeit im Nachhinein ist allerdings immens.“

Als Caren Lay im Mai 2011 eine Kamera in ihr Bürgerbüro in Bautzen einbauen lässt, wird sie ihren Prinzipien untreu, denn die Linken-Politikerin kämpft seit Jahren gegen Videoüberwachung. Aber als ihr Büro zum dritten Mal mit Steinen attackiert wird, will die Versicherung nicht mehr bezahlen. Die Kamera soll nun diejenigen abschrecken, die nachts das Büro mit Pflastersteinen angreifen und mit Naziparolen beschmieren. Auch in Hoyerswerda unterhält Lay ein Büro - auch hier gehen immer wieder Scheiben zu Bruch, müssen rechte Sticker oder Naziplakate abgekratzt werden.

Den Effekt kennen auch die Opfer. Sie meiden deshalb oft den Weg an die Öffentlichkeit. Selbst der Staatsschutz rät vielerorts dazu. Wissenschaftler Bundschuh hält das für falsch: „Die Täter signalisieren selbst mit einem kleinen Sticker: ‚Wir sind da‘, obwohl das natürlich nicht für eine ganze Stadt zutrifft.“ Die Wirkung auf die Opfer ist enorm. Schnell sind so von einigen wenigen Angsträume in ganzen Stadtteilen errichtet. Deshalb müsse früh und öffentlich reagiert werden, sagt Bundschuh. Vor dem Hintergrund des Terrors des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) wirkt das mittlerweile wie eine Binse. In Behörden und Parteien flüchten sich dennoch immer noch allzu viele in Schweigen.