Richterin: Verletzung bei Festnahme normal

POLIZEIGEWALT Das Landgericht spricht zwei LKA-Beamte frei, die einen äthiopischstämmigen Deutschen festgenommen hatten. Dessen Anwältin spricht von Racial Profiling. Ob er in Revision geht, ist offen

Eigentlich will sich Amare B. nur eine Wohnung am Tempelhofer Damm anschauen. Der äthiopischstämmige Deutsche hält an jenem Nachmittag im Mai 2010 nach seinem Makler Ausschau. Der ruft an und sagt ihm ab. Doch B. kann das Gespräch nicht beenden, plötzlich kommen zwei Männer auf ihn zu, nehmen ihm das Handy weg und drücken ihn zu Boden. Der 37-jährige Elektroinstallateur glaubt, von Neonazis angegriffen zu werden. Er hat Todesangst, bekommt keine Luft mehr. Erst als ihm Handschellen angelegt werden, merkt er, dass er mit Beamten in Zivil zu tun haben muss.

Am Montag beschäftigte sich das Landgericht mit der Frage, ob die beiden Beamten damals angemessen gehandelt haben. Sie arbeiteten als Drogenfahnder für das Landeskriminalamt und hatten gerade zwei flüchtige Diebe verfolgt. Sie glaubten, dass B. zu ihnen gehörte und sie per Telefon warnen wollte. B. stand vor dem Haus, in das die Diebe geflohen sind. Für ihn hatte der Irrtum schwerwiegende Folgen: Er trug eine schwere Prellung am Rücken davon und musste sich in psychische Behandlung begeben, weil er traumatisiert war.

Das Amtsgericht hatte die Beamten wegen schwerer Körperverletzung im Amt zu Bewährungsstrafen von sechs und sieben Monaten verurteilt hatte. Doch die Richterin des Landgerichts schloss sich der ersten Instanz nicht an – sondern sprach die beiden Drogenfahnder frei. „Es war eine Aktion mit maßvollem Ausgang“, die Vorgehensweise sei durch die Eingriffsrechte gedeckt, lautete ihre Begründung. Verletzungen bei Festnahmen seien normal. Das Gesetz umfasse auch einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Tragisch sei, dass B. in Todesangst versetzt wurde. Es gebe aber nicht den geringsten Anhaltspunkt für fremdenfeindliche Motive. Weil B. sich auffällig bewegt habe und dabei telefonierte, habe er den Anschein erweckt, dass er zu den Dieben gehöre, sagte die Richterin. Ihr Fazit: Eine solche Festnahme hätte jedem passieren können.

Genau das bezweifelt die Nebenklagevertreterin, die Amare B. vertritt. Für sie ist der Angriff auf B. nur über rassistische Stereotype der Beamten zu verstehen: „Ich bin mir sicher, wenn ich dort mit meinem Telefon lang gelaufen wäre, dann wäre das nicht passiert“, erklärte sie in ihrem Plädoyer. B. habe sich 100 Meter von den Beamten entfernt aufgehalten. Sie geht davon aus, dass es sich um einen Fall von Racial Profiling handelt. Im Strafgesetz gibt es einen solchen Tatbestand aber nicht.

Unabhängig davon hält die Nebenklägerin die Vorgehensweise für rechtswidrig. Die Beamten hätten B. belehren müssen, welcher Straftat er verdächtigt wird. Nach Aussage von Amare B. hätten sich diese nicht als Polizei vorgestellt. Dies sei nur rechtens, wenn ein Gerichtsbeschluss oder Gefahr in Verzug vorliege. Auch sein Handy wurde ihm abgenommen. Laut der Nebenklagevertreterin gebe es auch dafür keine Rechtsgrundlage. Die LKA-Beamten sagten hingegen aus, sich als Polizei vorgestellt zu haben. Amare B. könnte nun in Revision gehen. Dann könnte der Fall komplett neu aufgerollt werden. MARTIN RANK