Antiterrordatei rechtlich übergeprüft: Keine „Geheimpolizei“

Die Verfassungsrichter billigen die Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten. Aber nur wenn der Bundestag nachbessert.

Karlsruhe hat erklärt: Ein „informationelles Trennungsprinzip“ bezüglich Polizei und Nachrichtendiensten ergebe sich aus den Grundrechten. Bild: dpa

KARLSRUHE taz | Die Antiterrordatei ist in vielen Punkten verfassungswidrig. Das entschied am Mittwoch das Bundesverfassungsgericht. Der Bundestag muss das Gesetz nun bis Ende 2014 nachbessern.

Zugleich nutzte das Gericht den Fall, um grundsätzliche Maßstäbe aufzustellen. So dürfe die Terrorbekämpfung nicht „als Krieg oder als Ausnahmezustand“ gesehen werden. Außerdem wurde eine grundsätzliche „informationelle Trennung“ zwischen Polizei und Nachrichtendiensten postuliert – die zur Terrorbekämpfung allerdings durchbrochen werden darf.

Die Antiterrordatei wurde 2007 von der großen Koalition eingerichtet. Sie enthält Informationen über rund 18.000 Islamisten. Dafür wurden keine neuen Daten erhoben; vielmehr soll der Informationsaustausch zwischen Polizeien und Diensten erleichtert werden, indem Ermittler dort nachsehen können, welche Behörde Informationen über eine bestimmte Person hat.

Geklagt hatte der pensionierte Richter Robert Suermann aus Oldenburg. Er wollte verhindern, dass die Polizei auf diesem Wege Zugriff auf Daten des Verfassungsschutzes bekommt. Ob das Grundgesetz ein Gebot zur Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten enthält, wie Suermann meint, ist seit Jahrzehnten umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hat dies bisher immer offengelassen.

„Informelles Trennungsprinzip“

Jetzt hat Karlsruhe geklärt: Ein „informationelles Trennungsprinzip“ bezüglich Polizei und Nachrichtendiensten ergebe sich aus den Grundrechten, vor allem aus dem auf informationelle Selbstbestimmung. Danach sei es ein schwerer Eingriff in die „Zweckbindung“ von Daten, wenn sie etwa von der Polizei an den Verfassungsschutz geliefert werden und umgekehrt.

Beide Behörden seien nach derzeitigem Recht strikt zu unterscheiden: hier die offen ermittelnde Polizei, dort der verdeckt arbeitende Verfassungsschutz, der vor allem die Politik berate. „Eine Geheimpolizei ist nicht vorgesehen“, betonte Senatsvorsitzender Ferdinand Kirchhof.

Ein Datenaustausch zwischen Polizei und Nachrichtendiensten sei nur möglich, wenn er einem „herausragenden öffentlichen Interesse“ diene. Dabei habe die Terrorbekämpfung „erhebliches Gewicht“. Allerdings, so betonten die Richter, dürfe die Auseinandersetzung mit dem Terror „nicht als Krieg oder als Ausnahmezustand“ betrachtet werden, an die rechtstaatliche Anforderungen nicht mehr gelten.

Gemessen an diesem Maßstab sei die Datei „in ihren Grundstrukturen verfassungsgemäß“. Es würden eben nicht alle Informationsgrenzen zwischen Polizei und Nachrichtendiensten abgebaut – was unzulässig wäre –, vielmehr werde nur die „Informationsanbahnung“ ermöglicht. Die Weitergabe folge wie bisher den Fachrechten von Polizei und Nachrichtendiensten.

Kritik an zahlreichen Einzelpunkten

Kritik üben die Richter aber an zahlreichen Einzelpunkten. So genüge es für die Aufnahme in die Antiterrordatei nicht, dass jemand Gewalt nur „befürwortet“. Auch die Unterstützung einer terrorunterstützenden Organisation sei als Merkmal zu unbestimmt. Sonst könnten auch arglose Eltern in der Datei landen, weil sie den Kindergarten eines Moscheevereins unterstützen, der wiederum verdächtigt wird, Terrorgruppen zu unterstützen. Kontaktpersonen sollen künftig nicht mehr als eigene Gruppe gespeichert werden, sondern nur als verdeckte Zusatzinformation bei echten Verdächtigen.

Weitere Vorgaben betreffen Kontrolle und Transparenz: Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern sollen die Antiterrordatei mindestens alle zwei Jahre prüfen. Das Bundeskriminalamt, bei dem die Datei geführt wird, soll der Öffentlichkeit „regelmäßig“ über Datenbestand und Nutzung berichten.

Die Verfassungsrichter waren trotz der insgesamt rund zehn Beanstandungen mit den Sicherheitsbehörden gnädig. Die Antiterrordatei kann mit kleineren Einschränkungen weiterarbeiten und muss bis zur Neuregelung nicht abgeschaltet werden.

Der Bundestag hat für die Reparaturen nun Zeit bis Silvester 2014. Die relativ lange Frist begründeten die Richter damit, dass der Gesetzgeber bei dieser Gelegenheit auch „ähnliche“ Gesetze prüfen soll. Gemeint ist offensichtlich die Neonazi-Datei, die nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie im vorigen Jahr eingerichtet wurde.

„Urteil gegen den Überwachungsstaat“

„Das ist ein großes Urteil gegen den Überwachungsstaat“, sagte Maximilian Suermann nach der Urteilsverkündung. Der Sohn des Klägers hatte diesen als Anwalt in Karlsruhe vertreten. Vater Robert Suermann war weniger euphorisch: „Letztlich ist es nur ein Etappensieg in einem Rückzugsgefecht.“

Die Karlsruhe Richter nutzten das Urteil auch, um zugleich dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Dieser hatte kürzlich im Fall eines schwedischen Fischers zur Überraschung von ganz Europa erklärt, dass der EuGH auch im nationalen Strafrecht europäische Grundrechte prüfen können, wenn es um die Verteidigung von irgendwie EU-geregelten Interessen gehe.

Verfassungsrichter Kirchhof betonte nun im Namen des ganzen Karlsruher Senats, dass der EuGH sich bei der Grundrechtsprüfung auf europäisches Recht beschränken solle. Das Bundesverfassungsgericht werde Luxemburger Urteile für nicht anwendbar erklären, wenn sie „die Identität der durch das Grundgesetz errichteten Verfassungsordnung in Frage stellten“.

Az.: 1 BvR 1215/07*a

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