„Ich kann mir Heimat sehr schnell schaffen“

ZU HAUSE SEIN Eines der ersten deutschen Wörter, die Zuwanderer lernen, ist Heimat, sagt die Migrationsforscherin Naika Foroutan. Geschichte spiele dabei weniger eine Rolle

■ Die Sozialwissenschaftlerin leitet das Forschungsprojekt „Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle (Heymat)“ an der Humboldt-Uni. Im Kontext der Sarrazin-Debatte veröffentlichte die 1971 in Boppard geborene Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters einen „empirischen Gegenentwurf zu Thilo Sarrazins Thesen zu Muslimen in Deutschland“.

taz: Frau Foroutan, in welchem Stadtteil leben Sie?

Naika Foroutan: Ich lebe in Mitte, an der Grenze zu Wedding.

Ist Ihnen Mitte eine Heimat?

Ja, tatsächlich. Ich habe 14 Jahre am Rosenthaler Platz gewohnt. Dieser Platz hat für mich ein unglaubliches Heimatgefühl transportiert. Egal, von woher ich kam: Ich war immer wieder glücklich, diesen Platz zu sehen.

Was hat dieses Gefühl ausgelöst? Der Platz oder das Treiben auf ihm?

Als ich am Anfang da hingezogen bin, gab es nur den Döner an der Ecke, sonst nichts. Nun ist es ein richtig touristischer Ort. Wenn ich eine Woche weg bin, bin ich immer wieder überrascht, was es da Neues gibt.

Wenn Sie ein Rosenthaler-Platz-Museum aufbauen müssten, was würden Sie ausstellen?

Den Wandel. Ich würde die Schnelligkeit dieses Wandels in einem Videoclip in Endlosschleife laufen lassen.

Könnten Sie diejenigen verstehen, für die dieser Wandel auch ein Verlust ist?

Die Perspektive kann ich verstehen. Das geht einem aber an jedem Ort so. Es gibt ja in Großstädten sehr wenige Orte, die nicht dem Wandel unterliegen. Ihr Forschungsprojekt an der Humboldt-Uni kreist um den Begriff Heymat. Was ist das?

Wir wollten herausfinden, welche Gefühle von Zugehörigkeit Menschen mit einem muslimischen Migrationshintergrund in Deutschland beschreiben. Und da sind wir schnell auf den Heimatbegriff gekommen …

den es in anderen Sprachen so nicht gibt.

Für viele Zuwanderer ist er aber einer der ersten Begriffe, den sie lernen und mit dem sie was anfangen können. Er bedeutet Zugehörigkeit und natürlich auch Verlust. Etwas, wovon man sein Leben lang träumt. So wird aus Heimat Heymat.

Wie viel Heimat steckt für Zuwanderer in Deutschland?

Für die erste Generation ist Heimat in erster Linie das Herkunftsland. Doch mit den Nachkommen löst sich das vom Land, vom Boden und wird zum Ort der Kindheit, der Freunde, der Familie – und die sind nun in Deutschland.

Sie haben vier Kategorien von Heimat identifiziert.

Eine haben wir Einheimigkeit genannt. Das sind zum Beispiel die, die auch in Deutschland sagen: Die Türkei ist meine einzige Heimat. Dann gibt es die Mehrheimigkeit, das sind Menschen, die additive Beschreibungen nennen: Ich bin sowohl Deutsche als auch Türkin. Dann gibt es die Keinheimigkeit. Hier wird eine nationale Heimat abgelehnt. Die sagen: Ich bin Weltbürger. Und zum Schluss die Neuheimigkeit. Die definieren das übernational, etwa indem sie sagen: Ich bin Muslima, das ist jetzt meine Heimat.

Welche Heimaten haben Sie?

Heimat ist für mich wohnortbezogen. Immer dort, wo ich gewohnt habe, hatte ich das Gefühl, das ist jetzt meine Heimat. Ich kann mir Heimat sehr schnell schaffen. Allerdings bin ich auch fast immer mit Familie und Freunden umgezogen.

Die meisten Heimatmuseen haben den Begriff inzwischen aus dem Namen gestrichen.

Ich finde das schade. Ich finde den Begriff so schön, dass es schade ist, dass man ihn immer so in Anführungszeichen setzen möchte. Er ist so offen und immer wieder neu zu deuten. So wie der Rosenthaler Platz.

Welche Rolle spielt Geschichte für die Herausbildung migrantischer Heimaten?

Für die Personen, die wir interviewt haben – zumeist waren es Jugendliche –, spielt sie zunächst keine Rolle. Die sind sehr gegenwartsbezogen.

INTERVIEW: UWE RADA