Mit Hassfantasien gegen „Hinternhochbeter“

EXTREMISTEN Der Staat nimmt die Muslimhasserszene ins Visier: In zwei Ländern wird sie jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet

■ Religion: In der Bundesrepublik leben rund 4 Millionen Muslime, die Hälfte von ihnen ist jünger als 25 Jahre. Nur knapp 50 Prozent besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit, denn der Islam in Deutschland ist noch immer vorwiegend eine Religion der Einwanderer.

■ Organisationen: Die meisten muslimischen Verbände und Gemeinden sind deshalb national geprägt und nach den Ländern organisiert, aus denen ihre Mitglieder stammen.

■ Atheisten, Säkularisten, Aleviten: Aber nicht alle Einwanderer aus muslimisch geprägten Ländern sind Muslime – gerade unter den Migranten aus der Türkei gibt es viele Atheisten, Säkularisten und Angehörige religiöser Minderheiten wie der Aleviten. Diese Vielfalt sorgt in der Islamkonferenz immer wieder für Zoff. (bax)

AUS BERLIN DANIEL BAX

Die Islamkonferenz tagt einmal im Jahr (siehe Text unten) – Michael Stürzenberger hetzt fast jeden Tag irgendwo in München gegen Muslime. Derzeit sammelt er Unterschriften für einen Volksentscheid, der ein geplantes Islamzentrum in der bayrischen Hauptstadt verhindern soll. Mit Mikrofon, großen Gesten und einer Handvoll Mitstreitern macht Stürzenberger in der Innenstadt Stimmung gegen den geplanten Bau.

Doch es geht ihm um mehr, denn am liebsten würde er gleich den ganzen Islam verbieten lassen. So steht es jedenfalls in einem Thesenpapier, dass der Anti-Islam-Aktivist und ehemalige Pressesprecher der CSU-Abgeordneten Monika Hohlmeier vor eineinhalb Jahren verfasste.

Darin forderte Stürzenberger eine Volksabstimmung mit dem Ziel, den Islam hierzulande verbieten zu lassen. Sollten seine Pläne Erfolg haben, dann müssten Muslime, die ihrer Religion nicht abschwören, aus Deutschland ausgewiesen werden.

Zentrale Figur der Szene

Stürzenberger ist eine zentrale Figur der antimuslimischen Szene in Deutschland und nicht nur durch seine Kurzclips auf Youtube (siehe Screenshot-Foto) bundesweit bekannt. Erst im Februar 2013 übernahm er in Bayern den Landesvorsitz der rechtspopulistischen Kleinpartei „Die Freiheit“ und sitzt auch in deren Bundesvorstand. Zugleich ist er in der rechten „Bürgerbewegung Pax Europa“ aktiv – und regelmäßiger Autor des Zentralorgans der Muslimhasser in Deutschland, dem Blog „Politically Incorrect“, kurz „PI-News“ genannt.

Der Blog wird täglich von Zehntausenden gelesen. Vor allem in den Kommentarspalten lassen hier viele ihren Hass- und Gewaltfantasien freien Lauf. Muslime werden da als „Hinternhochbeter“ und „Pest“ diffamiert, man träumt von „Atombomben auf Mekka“ und „Arbeitslagern für Konvertiten“.

Muslimische Verbände fordern seit Langem, dass solch radikalen Islamfeinde wie andere Extremisten vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Auch Integrationsforscher wie Klaus Bade und Politiker aller Parteien unterstützen dies. „Wenn die Behörden ihre Maßstäbe aus der Überwachung islamistischer Webseiten darauf übertragen, dann müssten sie PI schon lange beobachten“, so CDU-Politiker Ruprecht Polenz bereits im Herbst 2011. Doch die Behörden taten sich damit lange schwer.

Als erstes Bundesland ist jetzt Bayern vorgeprescht. Es stuft die Islamfeindlichkeit jetzt auch offiziell als „neue Form des Extremismus“ ein. Ende März gab Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bekannt, dass der Landesverband der Partei „Die Freiheit“ und die Münchner Ortsgruppe des Blogs „Politically Incorrect“ vom Verfassungsschutz seines Landes beobachtet würden. Zwei Wochen später kündigte auch Niedersachsens neuer Innenminister Boris Pistorius (SPD) an, der Verfassungsschutz seines Landes werde Islamfeindlichkeit „zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit machen“.

Andere Landesbehörden sind zurückhaltender oder prüfen noch. Der Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, sagte kürzlich auf einer Tagung, er sehe derzeit keine Anhaltspunkte für eine Beobachtung von Hassseiten wie PI-News. „In Deutschland darf man sagen, dass man den Islam nicht mag, genauso wie man sagen darf, dass man das Christentum nicht mag“, sagte er.

Nicht alle sehen das so. Denn das propagandistische Dauerfeuer der Muslimhasser, so klein die Szene auch sein mag, vergiftet das gesellschaftliche Klima und schadet der Integration. Denn die Propaganda wirkt. Erst jüngst hat eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung ergeben, dass jeder zweite Deutsche den Islam für eine Bedrohung hält und findet, dass er nicht nach Deutschland passt.

Bewusst vereinfachen

In einer anderen Umfrage gaben 90 Prozent der Muslime an, dass sie darunter leiden, pauschal mit Terrorismus in Verbindung gebracht und allein aufgrund ihrer Religion und Herkunft ausgegrenzt zu werden. „Wie soll man ein Gefühl der Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit entwickeln, wenn die Mehrheitsgesellschaft einen ablehnt“, fragt sich Zekeriya Altug, Vorsitzender des türkisch-muslimischen Vereins Ditib in Hamburg.

Im vergangenen Dezember veranstaltete das Bundesinnenministerium deshalb im Rahmen der Islamkonferenz in Berlin eine Fachtagung zum Thema „Muslimfeindlichkeit“ – ein Signal, um zu zeigen, dass die Politik das Thema ernst nimmt. Seit dem Massaker des norwegischen Rechtsradikalen Anders Breivik im Sommer 2011 seien die deutschen Behörden für das Thema sensibilisiert, erklärte Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche (CSU) dort. Gegen eine als Islamkritik verbrämte Muslimfeindlichkeit, die „bewusst vereinfachende Zerrbilder“ produziere und den Islam mit einer politischen Ideologie gleichsetze, helfe aber in erster Linie nicht der Staat, sondern eine „Aufklärung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit“.

Gegen Stürzenberger ermittelt indessen auch die Staatsanwaltschaft München. Er muss sich vor Gericht verantworten, weil er bei einer Demonstration ein Bild von Heinrich Himmler gezeigt haben soll. Dabei könnte es sich allerdings um ein Missverständnis handeln. Denn der Islamgegner hatte das Bild des SS-Führers nur gezeigt, um damit eine Parallele zwischen dem Islam und der NS-Ideologie zu ziehen. Sich selbst sieht er darum allen Ernstes in der Tradition antifaschistischer Widerstandsgruppen wie der „Weißen Rose“, wie er dem erstaunten Richter erklärte.