Ein öffentlicher Schutzraum

NEUE AKADEMIE Verschachtelte Zugangswege, ein offenes Haus – in der Akademie des Jüdischen Museums soll die Vielfalt der deutschen Einwanderungsgesellschaft im Mittelpunkt der Arbeit stehen. Eröffnung ist Ende Mai

Wie ein Zufluchtsort für Menschen, für die die Welt draußen nicht sicher ist

VON ALKE WIERTH

Es ist der Eindruck einer künstlich geschaffenen Sphäre, einer geschützten kleinen Welt, den die Um- und Einbauten in der riesigen Halle des ehemaligen Kreuzberger Blumengroßmarktes haben entstehen lassen. In zwei Riegeln schieben sich rechts und links pavillonartige Flachbauten in den Raum – sie stehen auf Plateaus, als müsse selbst fester Boden erst geschaffen werden. Zwischen den Gebäuden angelegte Beete, der „Garten der Diaspora“, verstärken diesen Eindruck: Sie sind nicht im Boden, sondern auf schwebend wirkenden Plattformen angepflanzt.

Wie ein Zufluchtsort für Menschen, für die die Welt draußen nicht sicher ist – so wirkt, was das Jüdische Museum in der fußballfeldgroßen Halle hat entstehen lassen, in der die neu gegründete Akademie des Jüdischen Museums ihren Sitz hat. An riesige, durcheinander geworfene hölzerne Transportkisten erinnert auch der vom Architekten Daniel Libeskind gestaltete Eingangsbereich – und unterstützt, indem er verschachtelte, an die gezackte Architektur des gegenüberliegenden Jüdischen Museums erinnernde Zugangswege erzeugt, den Eindruck eines Verstecks. Wer auf geradem Wege in das Akademie-Gebäude hineinzumarschieren versucht, wird von einer Glasscheibe gestoppt: durchsichtig zwar, aber undurchdringlich.

Offen wird sie aber sein, die Akademie des Jüdischen Museums: öffentlich in ihrer Arbeit und als Haus offen zugänglich. Mit Veranstaltungsräumen, einer großen öffentlichen Bibliothek mit Lesebereich und vor allem vielen Veranstaltungen und Projekten, in deren thematischem Mittelpunkt die Vielfalt der heterogenen deutschen Einwanderungsgesellschaft steht.

Der „Garten der Diaspora“ etwa, dessen Pflanzen auf die Geschichte des Judentums und dessen religiöse Bräuche Bezug nehmen, soll von Berliner SchülerInnen gepflegt werden, die sich auf diese Weise mit jüdischem Leben vertraut machen können. Überhaupt steht – neben der Förderung wissenschaftlicher Arbeit durch das JMB Fellowship Programm, dessen erste Stipendiatin Karen Körber das Leben eingewanderter russischsprachiger Juden in Deutschland erforscht – die Zusammenarbeit mit Schulen ganz oben auf dem Programm der formal bereits im vergangenen November eröffneten Akademie des Jüdischen Museums.

Fast 70 Prozent der Gruppen, die das Jüdische Museum besuchen, seien Schulklassen, erklärt Diana Dressel, Leiterin der Bildungsabteilung des Museums. In ihnen bildet sich längst die Einwanderungsgesellschaft ab – mit all ihren neuen Perspektiven und Konfliktquellen. Häufig werde heute etwa, sagt Diana Dressel, von SchülerInnen bei Besuchen im Museum der Nahostkonflikt angesprochen: Ein Thema, dem die Akademie sich stellen will, ohne sich zu positionieren: „Wir wollen aufklären“, sagt Diana Dressel.

Für manche SchülerInnen der Kreuzberger Sekundarschule an der Skalitzer Straße wird das bald bedeuten, das Herkunftsland ihrer Eltern oder Großeltern von einer vermutlich für viele neuen Seite kennenzulernen: Begleitet von Pädagogen des Jüdischen Museum fahren sie in die Türkei, um Mitglieder der dort lebenden Jüdischen Gemeinde zu treffen. Geschichtsunterricht vor Ort: Die meisten türkischen Juden sind Sepharden, die einst aus Spanien und Portugal ins Osmanische Reich flüchteten – eine Flucht zu Muslimen vor Christen. Mit der Kreuzberger Oberschule, deren SchülerInnen zum großen Teil selbst aus muslimischen Familien stammen, ist die Akademie des Jüdischen Museums ihre erste Schulpatenschaft eingegangen. Im Rahmen einer Geschichtswerkstatt erforschen SchülerInnen mit GeschichtslehrerInnen der Schule und Museumspädagogen auch jüdisches Leben in Kreuzberg. Ein dabei entstehender Film soll beim Türkeibesuch gezeigt werden.

Das langfristige Projekt ist für alle Beteiligten Neuland. Der Geschichtsunterricht der Schule soll davon ebenso profitieren wie das Gesellschaftsverständnis der SchülerInnen – und die pädagogische Arbeit des Jüdischen Museums und der Akademie. Drei weitere Berliner Schulen werden im Akademie-Projekt „Vielfalt in Schulen“ bei der Entwicklung von Lösungsansätzen im Umgang mit Vielfalt unterstützt. Das Angebot richte sich mit entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen zunächst vor allem an Lehrer und Lehrerinnen, erklärt Projektleiterin Rosa Fava. Doch auch SchülerInnen werden einbezogen: Gemeinsam mit Lehrkräften entwickeln sie eine eigene Ausstellung, die Ende Mai im Museum gezeigt wird.

Dass das Jüdische Museum sich mit der Einwanderungsgesellschaft befasst, ist nicht neu. Schon seit mehreren Jahren bietet es etwa Führungen in türkischer Sprache an. Mit der Akademie erfährt dieser Schwerpunkt eine stärkere Bedeutung. Die Frage, „wie in einem Land im 21. Jahrhundert Menschen unterschiedlicher Herkunft friedlich zusammenleben können“, hatte der Direktor des Jüdischen Museums W. Michael Blumenthal zur formalen Eröffnung der Akademie im November gesagt, sei „eine Frage von überragender Wichtigkeit für Deutschland“. Eigentlich sollte der Bau bereits Mitte April eröffnet werden. Doch der späte Wintereinbruch verzögerte die Baumaßnahmen. Nun hat der Umzug der Bildungsabteilung in den Neubau begonnen. Mit der offiziellen Eröffnung ist Ende Mai zu rechnen.