Regierung präsentiert angebliche Attentäter

TÜRKEI/SYRIEN Radikale Splittergruppe mit Syrien-Kontakten soll hinter Reyhanli-Anschlag stecken

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Schuld am Tod von 50 Menschen in der türkischen Grenzstadt Reyhanli sollen die „Avantgardisten“ sein. Das sind Linksradikale, die sich „Acilciler“ (Avantgardisten) nennen und von den türkischen Behörden jetzt drei Tage nach dem verheerenden Terrorakt in Reyhanli als Attentäter präsentiert werden. Bis vor zwei Tagen hatte kaum jemand in der Türkei von der Gruppe gehört. Auf einmal aber sind die Zeitungen voll von Artikeln über Herkunft und Geschichte der Gruppe. Angeblich ging sie schon in den 70er-Jahren zunächst aus der linksradikalen DHKP/C hervor, von der sich die marxistisch-leninistische THKP/C abgespalten haben soll, deren Splittergruppe wiederum die „Avantgardisten“ sein sollen.

Nach dem Putsch 1980 flohen etliche vor der Militärrepression nach Syrien. Darunter sollen auch Acilciler und deren Chef Mihrac Ural gewesen sein. Anders als andere Gruppen seien die „Avantgardisten“ aber auch später in Syrien geblieben und zu so etwas wie Auftragskiller der syrischen Geheimdienste geworden. Insbesondere ihr Chef Ural wird in den türkischen Medien jetzt als berüchtigter syrischer Killer dargestellt, der noch kurz vor dem Bombenanschlag in Reyhanli an der blutigen Vertreibung sunnitischer Oppositionsfamilien aus der syrischen Küstenstadt Bahanli beteiligt gewesen sein soll.

Nur einen Tag nach dem Anschlag hatte die Polizei schon neun Verdächtige verhaftet, inzwischen sollen es 17 sein. Die Medien berichten auch davon, dass die Gruppe angeblich zunächst ein Attentat in Ankara geplant hatte, wegen der Sicherheitsvorkehrungen dort dann aber nach Reyhanli ausgewichen sei. Unter den Verhafteten sollen auch etliche DHKP/C-Angehörige sein. Die DHKP/C hatte im Februar einen Anschlag auf die US-Botschaft in Ankara durchgeführt und sich dazu bekannt. Jetzt bestritt die Gruppe die Beteiligung an dem Bombenattentat: Niemals würden Marxisten Bomben gegen unschuldige Zivilisten einsetzen. Auch Ural bestritt, mit den Bomben in Reyhanli etwas zu tun zu haben. Laut Ministerpräsident Erdogan sind die Attentäter vom syrischen Geheimdienst gesteuert. Syriens Opposition habe nichts damit zu tun.