Die alte Wut ist immer noch da

ROCK ’N’ RAI Auf seinem neuen Album „Zoom“ kommt der französische Rockstar Rachid Taha dem Geist seiner Vorbilder von The Clash ziemlich nahe

Wenn man sich mit Rachid Taha in einem Berliner Hotelzimmer zum Interview trifft, kann es passieren, dass man es betrunken verlässt.

Während des Gesprächs macht der Musiker mit seinem linken, gesunden Arm eine Flasche Wein nach der anderen auf. Dabei erzählt er, dass er in Paris ein Festival mit arabischen Rockbands aus dem Irak, Palästina und dem Maghreb plant. Dann springt er vom Bienensterben zu seinem Dauerthema, dem Rassismus in Frankreich, und erläutert dabei, dass der Koran das Trinken von Wein nicht verbiete, nein, er habe einen Freund, der bete und trinke drei Gläser pro Tag, er sei ein Sufi, und übrigens, der beste Whisky komme aus Japan.

Der algerischstämmige Rockstar Rachid Taha ist der agent provocateur der französischen Musikszene. Auf seinem neuen Album „Zoom“ schlägt der 54-Jährige nun wieder deutlich rockigere und elektronischere Klänge an als zuletzt. Da ist, wie gewohnt, der kehlige, raue und doch einschmeichelnde Gesang. Neu sind dagegen die Gitarrenklänge, die an einen Spaghettiwestern erinnern. Die Lagerfeuerstimmung auf „Zoom“ lässt mal an einen Cowboytreck durch den Mittleren Westen, mal an ein Berberfest in der Sahara denken. Und wenn der hypnotische Sog tribaler Maschinenbeats auf das trockene Lautenspiel seines Kompagnons Hakim Hamadouche trifft, dann erinnert das an düstere Vorgängeralben wie „Made in Medina“ (2000) und „Tékitoi“ (2004).

Taha liebt das Spiel mit Popzitaten und interkulturellen Querverweisen. Im Titelsong „Zoom sur Oum“ jagt er ein Sample der ägyptischen Sängerin Oum Kalthoum durch den Fleischwolf und beschwört mit suggestivem Sprechgesang ihre Aura. Den Elvis-Evergreen „It’s Now Or Never“ – der auf dem neapolitanischen Gassenhauer „O sole mio“ beruht – entführt er aus Memphis in ein arabisches Teehaus. Er singt ihn mit einem Lächeln auf den Lippen, während der Hintergrundchor dazu hingebungsvoll säuselt.

Mit solchen Coverversionen feierte Rachid Taha stets seine größten Erfolge: Seinen Durchbruch hatte er mit dem französischen Chanson-Nationalklassiker „Douce France“, den er mit hartem arabischen Akzent sang. Sein bekanntester Hit ist „Ya Rayah“, ein Chaabi-Schlager des algerischen Kaffeehaussängers Dahmane El Harrachi. Und seine Version von „Rock The Casbah“ war grandios.

Auch sein neues Album atmet ganz den Geist von The Clash. Als die britische Punkband 1981 in Paris ein Konzert gab, soll der junge Rachid Taha seinen Idolen ein Demo-Tape seiner damaligen Maghreb-Rockabilly-Band Carte de Séjour zugesteckt haben. Als kurz darauf ihr Song „Rock The Casbah“ erschien, fragte sich Rachid Taha deshalb, ob er dafür wohl Pate gestanden hatte. Bei den Aufnahmen zu „Zoom“ stand Rachid Taha dafür nun, wie zur Revanche, der Clash-Mitbegründer Mick Jones zur Seite. Im dubbigen „Algerian Tango“ gleitet Rachid Taha, von dessen berühmter Stimme begleitet, wie durch die Kulissen einer Geisterstadt. In „Khaloumi“ lässt Taha ursprünglichen Maghrebsound auf Punkattitüde prallen, seine durch einen Vocoder verzerrte Stimme trifft auf rauen Rai-Gesang.

Im bluesigen „Les Artistes“ beerdigt er den Künstlermythos, indem er aufzählt, woraus die Realität vieler Musiker wirklich besteht: nicht aus Spritztouren mit dem Cadillac, sondern aus der Sorge um Visum, Pass und Aufenthaltsberechtigung. Und „Fakir“ klingt, als hätte Rachid Taha „In The Summertime“ von Mungo Jerry verhackstückt.

Das Album schließt mit einem Remake seines antirassistischen Tracks aus dem Jahr 1993, „Voilà, Voilà“. Für die Neuauflage seines Klassikers hat er gute Freunde im Studio versammelt, und der Afrobeat-Erbe Femi Kuti steuert seine Saxofonkaskaden bei. Zwanzig Jahre später hat das Stück nichts von seiner Dringlichkeit verloren. Die alte Wut ist immer noch da. Der Rassismus habe sich in Frankreich längst nicht erledigt, im Gegenteil, findet Rachid Taha: „Ich möchte, dass Marine Le Pen an die Macht kommt“, behauptet er nach dem Motto: Es muss erst schlimmer werden, damit es besser wird. „Sie repräsentiert heute die Mitte der Gesellschaft.“ DANIEL BAX

■ Rachid Taha: „Zoom“ (Naive)