Kolumne Blicke: Rauchen gegen eine schlechte Welt

In Frankfurt sprühen Polizisten Pfefferspray auf alte Damen, die CSU hasst mal wieder die Demokratie. Da kommt ein Zigarettchen gerade recht.

Ruhig bleiben, rauchen gehen. Oder umgekehrt. Bild: dpa

Zum Weltnichtrauchertag am 31. Mai wurde ich wieder mal ausgiebig auf die Rolle des Kranken, sprich Drogenabhängigen festgelegt.

Ich würde zwar sagen, dass das Rauchen eine meiner – gewiss irrationalen – Selbsttherapien gegen eine dumme und brutale Welt ist, möchte also die Zigarette eher als Medikament definieren und die Krankheit eher da draußen als in mir selbst verorten, erkenne aber das autoagressive Element im Qualmen (und selbstverständlich das, verhielte ich mich rücksichtslos, hochgradig belästigende und fremdgefährdende!) an, wie es wunderbar im Film „The Brave One“ („Die Fremde in dir“) dargestellt wird.

Anderseits werde ich jetzt auch nicht losgehen und mir wie Jodie Foster auf den Rat ihrer Nachbarin statt einer Packung Players eine Wumme besorgen, nur weil ich bei Youtube sehe, wie Polizisten in Frankfurt alte Damen mit Pfefferspray besprühen – so unbedrängt und entspannt, als hätten sie sich gerade erleichtert und befüllten nun das WC mit Raumerfrischer.

Und ich habe auch gar keine Lust, Amok zu laufen, weil Stefan Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU im Bundestag, wegen Erdogan und seiner Schlägertruppe einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fordert. Der unverhältnismäßige Einsatz von Gewalt entspreche „nicht unserem Verständnis von Demokratie und Meinungsfreiheit“ – Gustl Mollath grüßt aus der Zwangspsychiatrie.

Nein, da bleibe ich ganz ruhig und gehe eine rauchen. Und würde dann vielleicht Herrn Müller fragen, ob es nicht sogar für einen Vertreter einer korrupten Vereinigung wie der CSU ein wenig zu bauernschlau ist, ausgerechnet das Entstehen einer demokratischen Bürgerbewegung demagogisch so umzudrehen, dass man die Türkei nicht im Klub der lupenreinen EU-Demokraten dabeihaben will?

Back to business

Oder steckt da der Assad-Freund und Bundesverkehrsminister (CSU) Peter Ramsauer dahinter? Der nach einem Verkaufsbesuch in Syrien im Februar 2011 die schönen Worte sagte: „Ich rate dazu, Länder auch danach zu beurteilen, ob sie in der Lage sind, ihre Bevölkerung zu ernähren. In unseren gesättigten westlichen Demokratien treten wir oft zu besserwisserisch auf.“

Back to business: Mit meiner Raucherei bin ich ein Kostenfaktor nicht nur für mich, sondern auch, wie eine „US-Studie“ herausgefunden haben will, für meinen Arbeitgeber: Satte 4.600 Euro im Jahr. Da stecken Pausenzeiten drin, benzolbedingte Krankheitstage und natürlich die zusätzlichen Gesundheitsausgaben.

Ein deutsches Studienpendant erkennt immerhin an, dass die Rauchpause auch der Entspannung und der „produktiven Kommunikation mit Kollegen“ diene, berichtet die Welt.

Äh – ja. Doch! Beziehungsweise: Warum eigentlich nicht - ich lese das auch immer wieder. In der Art von Büroratgeber, der einem sagt, dass man immer mal mit unterschiedlichen Kollegen essen gehen sollte, natürlich mit dem Blick nach oben: „dine and schleim“. Gehört nicht so zu meinen Gewohnheiten. So wenig wie demonstrieren. Aber manchmal geht es halt nicht ohne. Wie rauchen. Trotz Krebs und Pfefferspray.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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