Solidarität mit den Capulcus

BEWEGUNG In der Türkei werden die Proteste gegen die Regierung unterdrückt. Dafür werden sie hier immer lauter. Erdogan-Fans haben es dagegen schwer

VON DANIEL BAX

Ein Zelt steht noch. Während das Protestcamp in Istanbuls Gezi-Park geräumt wurde, haben Unterstützer in Berlin-Kreuzberg am U-Bahnhof Kottbusser Tor ein Zelt aufgeschlagen. Den ganzen Tag über werden dort Filme gezeigt und Fotos ausgestellt. Ständig bilden sich Grüppchen um das Zelt, über dem ein rotes Banner hängt, darauf die Parole: „Taksim ist überall, überall ist Widerstand“.

Unter diesem Motto steht auch die Kundgebung, die an diesem Wochenende in Köln geplant ist. Dazu hat die Alevitische Gemeinde aufgerufen, seit Tagen wirbt sie über ihren Kölner Satellitensender Yol TV dafür. „Wir fordern den Rücktritt des Ministerpräsidenten und Neuwahlen“, sagt Ali Dogan, ihr Vorsitzender, der mit 30.000 Teilnehmern rechnet.

Die religiöse Minderheit der Aleviten war in der Türkei oft Repressalien ausgesetzt, die Erdogan-Regierung sieht sie seit jeher kritisch. „Wir haben schon immer gesagt, dass Erdogan ein Wolf im Schafspelz ist“, sagt Ali Dogan. Auch dem Rest seiner Partei traut er nicht über den Weg, moderatere Stimmen wie Staatspräsident Abdullah Gül seien keine Alternative. Die AKP-Regierung würde lediglich nach der Regel „good cop, bad cop“ spielen, so Dogan. Schon mehrmals hat die Gemeinde Demonstrationen gegen den türkischen Ministerpräsidenten organisiert. Diesmal hat sich dazu erstmals deutsche Politprominenz wie Sigmar Gabriel und Gregor Gysi angekündigt.

Die Ereignisse in der Türkei spalten die Deutschtürken. Die Türkische Gemeinde in Deutschland stellt es ihren Mitgliedern frei, an der Demo in Köln teilzunehmen, ruft aber nicht dazu auf. Ihr Vorsitzender Kenan Kolat hält nicht viel vom Ruf nach einem Rücktritt Erdogans. Es sei besser, die Forderungen der Leute vom Taksimplatz zu unterstützen, als von außen Forderungen zu stellen. Kolat hat auf seine Kritik an der türkischen Polizei viele hässliche Mails erhalten, oft mit identischem Inhalt. „Da werden Argumentationsmuster aus der Türkei oft wortwörtlich übernommen.“

Kolat war in der Türkei, als die Proteste begannen. „Meine Schwester und meine Nichte sind zum ersten Mal auf die Straße gegangen“, erzählt er. Erdogan sei ein Hitzkopf und ein Machtmensch, „seine Basta-Politik hat viele gestört“. Doch: „Der Bann der Angst ist jetzt gebrochen.“ Für Erdogans Kurs sucht er eine Erklärung in der politischen Kultur der Türkei: „Nachgeben gilt nicht als ehrenvoll, man muss stark bleiben.“ Aber die Proteste hätten die Türkei verändert, davon ist Kolat überzeugt. „Diese Menschen haben eine große demokratische Reife gezeigt. Wir müssen sie unterstützen.“

Das findet auch Shermin Langhoff, die türkischstämmige Intendatin des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin. Sie hat einen Aufruf mit initiiert, dem sich seit Sonntag auf Facebook schon mehr als 14.000 Menschen angeschlossen haben. Kulturgrößen wie Fatih Akin und René Pollesch wenden sich in dem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel, sich für ein Ende der Repression in der Türkei einzusetzen.

Langhoff sorgt sich insbesondere um den Theaterkollegen und TV-Star Memet Ali Alabora. Der türkische Ministerpräsident Erdogan hatte den bekannten Theatermann öffentlich beschuldigt, ein Drahtzieher der Proteste gewesen zu sein, daraufhin bekam dieser Drohbriefe. Deshalb sagte Langhoff eine Einladung zum Empfang beim neuen Generalkonsul der Türkei in Berlin, Ahmet Basar Sen, ab. Stattdessen schrieb sie mit der Schauspielerin Idil Üner und der Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar einen offenen Brief, in dem sie ein Ende der Gewalt und der Unterdrückung kritischer Stimmen in der Türkei fordern.

Gerade die Kulturszene in der Türkei steht unter Druck. Die AKP-Regierung will die Staatstheater schließen und Orchester privatisieren. Auch deshalb waren viele Künstler an den Aktionen auf dem Taksimplatz beteiligt. „Von der Kreativität dieser Protestbewegung können wir uns etwas abschauen“, findet Langhoff. Für Freitag haben DJs in Berlin schon mal zu einer „Capulcu-Parade“ mit Gasmasken geladen, ein Open-Air-Rave als Geste der Solidarität.

Erdogan-Fans haben es dagegen schwer, viele halten sich auch lieber bedeckt. Seine verbliebenen Unterstützer – zum Beispiel vom AKP-nahen Tulip-Forum in Bonn oder im Internet – verweisen auf Erdogans zahlreiche Erfolge und beklagen wortreich die „Einseitigkeit“ der deutschen Medien, bei den Protesten sehen sie vor allem „Krawallmacher“ und Unruhestifter am Werk.

Auch die großen Islam-Verbände sind auffallend still. Vor zwei Wochen haben sie alle gemeinsam eine windelweiche Stellungnahme abgegeben, in der sie sich vage gegen „Gewalt“ aussprechen – wobei weniger die exzessive Polizeigewalt als vielmehr Gewalt seitens der Demonstranten gemeint war. Seitdem kein Wort.

„Unser Anliegen ist es, diese Auseinandersetzung nicht nach Deutschland zu tragen“, sagt Oguz Ücüncü, der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), einem der größten türkischstämmigen Islam-Verbände. Zwar sehe er Erdogans Kurs auch kritisch, die Räumung des Gezi-Parks sei eine „klare Überreaktion“ gewesen. „Das für eine Generalabrechnung mit der Regierung zu nutzen, finde ich aber falsch“.