DIE KÖCHIN PAULA DEEN, DAS N-WORT UND CHRISTLICHE VERGEBUNG
: Das „Neue Testament“

GOTT UND DIE WELT

MICHA BRUMLIK

Dass Religion und Essen auf das Engste miteinander zusammenhängen, ist ein Lieblingsthema der neuen Kulturwissenschaften; christliches Abendmahl, islamischer Ramadan und Zuckerfest sowie das jüdische Passahfest beweisen es immer wieder. In einem so tief religiösen Land wie den USA nimmt das jedoch Formen an, die auch und gerade die Populärkultur in einer Weise prägen, wie das in Europa kaum noch möglich ist. Europäer mögen meinen, dass der Fall Snowden, der die Spitzeleien der NSA der Öffentlichkeit zugänglich machte, die amerikanische Öffentlichkeit vornehmlich umtreibt; eine Fehleinschätzung: mehr noch sind die Amerikaner derzeit von Aufstieg und Fall der Paula Deen umgetrieben.

Paula Deen, eine überaus beliebte Autorin von Kochbüchern, eine Fernsehköchin und Restaurantbetreiberin, die durch ihre Rezepte und Shows zur mehrfachen Millionärin wurde, propagierte wider alle Warnungen vor ungesundem Essen in den letzten Jahren eine schmackhafte, Zucker und Fett nutzende Südstaatenküche. Jetzt will der Verlag ihr bereits angekündigtes letztes Buch nicht mehr drucken, und Amazon hat angekündigt, die bestellten Bücher – sie führten Amazons Hitliste an – nicht auszuliefern. Paula Deen wird vorgeworfen, Afroamerikaner vor – sage und schreibe – siebenundzwanzig Jahren durch Verwenden des „N-Worts“ pauschal beleidigt und – mehr noch – vor einiger Zeit geplant zu haben, bei der Ausrichtung einer „dinner party“ kellnernde Afroamerikaner – wie in der Sklavenzeit üblich – in weißen Livreen auftreten zu lassen.

Paula Deen, damit des Rassismus überführt, sieht ihr Millionen-Dollar-Imperium in Gefahr. Tränenreich hat sie sich im Fernsehen entschuldigt und darauf verwiesen, wie lange das alles her sei, sie ansonsten viel zumal für die afroamerikanische Bevölkerung getan und das ominöse „N-Wort“ ein einziges Mal, als sie vor langer Zeit von jemandem mit einer Pistole bedroht wurde, verwendet zu haben.

Deens Tränen und Geständnisse riefen die Spezialisten für christliche Vergebung gerade auch bei rassistischen Vergehen auf den Plan: namhafte Vertreter afroamerikanischer Kirchen meldeten sich zu Wort und bekräftigten generös das neutestamentliche Prinzip der Sündenvergebung. Im Fall Deen war es insbesondere Al Sharpton, der sich für Deen einsetzte. Sharpton, ein umstrittener, zunächst pfingstlerischer, dann baptistischer Geistlicher ist ein den Demokraten nahestehender Bürgerrechtler, freilich ob seiner scharfen Zunge durchaus umstritten; der Soziologe Orlando Patterson, Spezialist für die Geschichte von Sklaverei und Rassismus, bezeichnete Sharpton gar als „rassistischen Brandstifter“. Tatsächlich sind juden-, schwulen- und mormonenfeindliche Sprüche aus seinem Munde mehrfach belegt. Indem Pfarrer Sharpton der Fernsehköchin Paula Deen ungefragt und ungebeten verzieh, nahm er die Gelegenheit wahr, sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen: Hätten doch – so Sharpton – viele Menschen früher Dinge gesagt, die sie später bereuen mussten.

Neben Rassismus wird Paula Deen freilich Heuchelei und eine unheilbare Liebe zum Geld vorgeworfen. Hatte sie doch kürzlich bekennen müssen, schon seit Jahren an Diabetes Typ II, einer ernährungsbedingten Krankheit, zu leiden und bei dieser Gelegenheit zugleich für ein einschlägiges neues Medikament geworben. Auf jeden Fall: Das neue, vom Verlag nicht gedruckte und daher von Amazon nicht mehr auszuliefernde Kochbuch trägt ihrer Krankheit Rechnung und bietet fett- und zuckerfreie Rezepte. Der Titel des Kochbuchs: „Paula Deen’s New Testament“

■  Micha Brumlik ist Publizist und Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main