Zwei Männer in Radlerhosen

NSU-PROZESS Nebenkläger halten einem Ermittler vor, nicht die richtige Spur verfolgt zu haben. Auch Schwiegermutter und Witwe des vierten Mordopfers kommen zu Wort

„Er wollte nur sein Geld verdienen, sonst nichts“

DIE WITWE VON HABIL KıLıÇ ZU ZSCHÄPE

AUS MÜNCHEN MARLENE HALSER

Im NSU-Prozess haben Angehörige und Vertreter der Nebenklage am Donnerstag die Ermittlungsarbeit der Polizei heftig kritisiert.

Am 22. Verhandlungstag vor dem Oberlandesgericht in München wurde der Mord an Habil Kılıç, einem türkischstämmigen Gemüsehändler, untersucht. Der damals 38-Jährige wurde Ende August 2011 in seinem Geschäft in München-Rahmersdorf erschossen. Kılıç war mutmaßlich das vierte Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, bestehend aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Die Polizei aber suchte in erster Linie im Umfeld des Opfers nach Verstrickungen in die organisierte Kriminalität, statt der Spur von zwei Radfahrern nachzugehen, die von Zeugen gesehen worden waren.

Die Schwiegermutter des Opfers berichtete am Donnerstag vor Gericht, ihr sei erst nach dreieinhalbstündiger Vernehmung vom Tod ihres Schwiegersohnes berichtet worden. Zuerst habe man sie wie eine Verdächtige behandelt. Aus den Akten, die der Vorsitzende Richter zitierte, geht jedoch hervor, dass die Frau am Vernehmungstag sehr erregt und verwirrt war. Auch datierte sie die Vernehmung auf den Vormittag, obwohl der Mord erst nachmittags verübt wurde.

„Vor dem Mord war alles perfekt“, sagte die 73-Jährige. Doch danach hätten die Vermutungen, über die die Medien immer wieder berichteten, das Leben der Familie schwer belastet. „Frauengeschichten, Rauschgift, wer will schon etwas mit meiner Mörderfamilie zu tun haben“, sagte sie. Die Wohnung der Familie sei nach der polizeilichen Durchsuchung unbewohnbar gewesen. Die Schule, auf der die damals 10-jährige Tochter ging, habe das Mädchen des Unterrichts verweisen wollen – aus Angst, andere Kinder könnten Opfer eines Anschlags werden.

Zwei Kopfschüsse hatten den Einzelhändler hinter der Theke seines Obst- und Gemüsegeschäfts niedergestreckt. Die Ladentür stand offen. Auch die Polizeistation war nicht weit entfernt. Wie die Witwe des Ermordeten vor Gericht berichtete, war es Zufall, dass Kılıç zur Tatzeit im Laden war. Eigentlich habe sie das Geschäft geführt, sagte die 51-Jährige, der die Aussage sichtlich schwer fiel. Auch die Hauptangeklagte Beate Zschäpe sprach sie direkt an.

Laut Anklage wird Zschäpe Mittäterschaft bei allen zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen zur Last gelegt. „Er wollte nur sein Geld verdienen, sonst nichts“, sagte die Witwe zu Zschäpe gewandt. Diese hob den Blick jedoch nicht von ihrem Bildschirm.

Es habe viele Zeugenaussagen gegeben, berichtete der Kriminalbeamte, der die Ermittlungen im Mordfall Kılıç leitete – jedoch außer einem gefundenen Projektil keine relevante Spur. Zwei Aussagen hätten die Fahnder womöglich aber schon damals zu Böhnhardt und Mundlos führen können. Zwei Nachbarinnen hatten zwei junge, schlanke Männer in dunkler Fahrradbekleidung beobachtet: eine Parallele zum Mordfall Simsek im September 2000. Auch dort hatte ein Zeuge zwei Männer in dunkler Fahrradbekleidung am Blumenstand des Opfers beobachtet und „metallische Schläge“ gehört.

„Warum haben Sie nicht in diese Richtung ermittelt“, fragte Rechtsanwalt Adnan Menderes Erdal, der einen Verletzten des 2004 verübten Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße vertritt, den Ermittler aufgebracht. „Es ist kein Geheimnis, dass es in Deutschland kranke Menschen gibt.“ Die Zeugenaussage aus Nürnberg sei ihm nicht bekannt gewesen, sagte der Beamte. Man habe zwar nach den beiden Radfahrern gefahndet, jedoch ohne Erfolg.

■ In Kooperation mit Radio Lora München, www.lora924.de