EIN MENSCH IST EIN MENSCH UND EIN ANDERER MENSCH IST EIN ANDERER MENSCH
: Der Fehler in mir

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg, ihr letztes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 und ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.

An der Ecke Holstenstraße / Max Brauer Allee in Hamburg Altona, gab es Ärger zwischen Polizei und solchen Anwohnern, die zum Beispiel gemeinsam hatten, dass sie gerade den Fastenmonat begingen.

Soviel dazu und es ist wirklich nicht leicht, verschiedene Menschen rein vom Ansehen her zu etwas dazuzuzählen und sie als ein gemeinsames „Problem“ anzusehen, wie von verschiedenen Seiten geschehen. Denn ein Mensch ist ein Mensch und ein anderer Mensch ist ein anderer Mensch. Der eine verhält sich nicht richtig und der andere doch, der eine ist Moslem, der andere Polizist. Der eine ist eine Minderheit, der andere mit Staatsmacht ausgestattet. Soviel zu den Voraussetzungen.

Ich habe lange in der Nähe dieses Viertels gelebt und es zeichnet sich vor allem durch eine gewisse Herbheit aus, denn der Verkehr ist in seiner Lautstärke und mit seinen Abgasen kaum erträglich. Andererseits befindet sich die Astrastube, eine sehr, sehr gute Kneipe, an der Ecke und es hat einen gewissen, großstädtischen, bitteren Charme, etwa wie Kautabak oder wie ganz bitteres Bier.

Wer hier aufwächst, ist nicht verwöhnt und spielt eben auf der Straße den Held, wenn er ein kleiner Junge ist. Wer hier aufwächst, ist ein Krieger und sein kleiner Kinderkörper bohrt sich durch eine dicke Schicht von Stickstoffoxid und Straßenhärte in die Welt. Vielleicht fehlt ihm etwas. Vielleicht das Taschengeld. Vielleicht die Normen. Vielleicht stielt er. Vielleicht auch nicht. Vielleicht sind seine Eltern anständige Menschen, die ihn auch anständig erziehen. Vielleicht ist alles möglich und jeder Mensch wächst auf seine eigene Art.

Jetzt zu mir: Kommen mir auf der Straße ebensolche jungen Männer in einer größeren Gruppe und mit sich wiegenden Oberkörpern und kleinen Goldkettchen und halb rasierten Köpfen entgegen, dann trete ich scheu zur Seite, denn ich möchte nicht mit ihnen zusammenstoßen, ich möchte nicht, dass sie mich mit dem Messer ermorden. Ich allerdings bin nicht in den Staatsdienst getreten, ich habe einen Freiberuf und halte mich für tolerant und nicht rassistisch. Wie komme ich also dazu, solch eine Gruppe von jungen Männern, einzelne Menschen wohlgemerkt, so einzuschätzen? Wie kann es sein, dass ich sie als potenzielle Mörder abstempele?

Bin ich Rassistin? Aber, aber, möchte ich mir selber zurufen, muslimischen Frauen gegenüber, und seien sie auch von Kopf bis Fuß verschleiert, und träten sie in Gruppen auf, fühle ich nie Angst oder Abneigung. Im Gegenteil, im Planten und Blomen, letzte Woche, da habe ich sie auf ihrer Decke beneidet um ihre Fröhlichkeit und ihre hübschen, seidenen Sachen und ich habe mir gewünscht, ich könnte jemals einem solchen, freundlich geborgenen Kreis angehören, und könnte mit ihnen auf ihrer Decke sitzen und mit ihnen Tee trinken. Deswegen kann ich keine Rassistin sein, oder?

Es geht doch nur gegen die. Gegen diese Jungs. Die nie aus dem Weg gehen. Nie leise sind. Sich immer auffällig gebärden, ihre Kraft demonstrieren. Und da ist es, das „Die“. Das „Die“ ist der Fehler in mir. Es gibt keine „Die“. Es gibt nur einzelne Menschen. Es gibt Nazi-Menschen und es gibt tolerante Menschen. Es gibt keine ‚die Deutschen‘ und keine ‚die Türken‘ und keine ‚die Migranten‘. Es ist, ich bin erschöpft, eine Welt voll mit Menschen, die jeder für sich zu betrachten sind.

Vielleicht gibt es im Viertel an der Holstenstraße ein Problem, aber das ist Teil eines größeren, gemeinsamen Problems. Vielleicht waren manche der festgenommenen Jungen kriminell und vielleicht waren es andere nicht, vielleicht hat die Polizei hier Menschen als „die“ behandelt und das ist immer ein Fehler. Man nennt ihn Rassismus.