Die Stadt der toten Helden

SYRIEN Tartus ist eine Hochburg der Anhänger des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Für die Einwohner sind die Rebellen nur Terroristen und der Feind sitzt im Ausland

„Trotzdem wird Syrien siegen dank unseres Präsidenten Baschar“

MADIHA MANSOUR

AUS TARTUS MARTIN LEJEUNE

Die Einwohner von Tartus leben dieser Tage mit den Toten. An Balkonen, Hauswänden, Zäunen, Ampeln und Reklametafeln hängen riesige Plakate mit den Bildern der Soldaten, die im Kampf gegen die syrischen Rebellen das Leben gelassen haben. In ihren Händen halten sie automatische Waffen, in Herzhöhe prangt auf der Uniform das Konterfei des Präsidenten Baschar al-Assad.

Die Spuren der Toten ziehen sich durch die ganze Stadt. In der Al-Arid-Straße haben zwei Dutzend junge Männer gewohnt, die als Soldaten gestorben sind. Sie wurde in „Straße der Märtyrer“ umbenannt. Am Rand einer anderen Staße hat ein Mann den Militärstiefel seines toten Sohnes auf ein Podest gestellt und mit Blumen geschmückt. Eine Heldengedenkstätte zwischen Apotheke und Falafelstand.

Tartus ist eine mehrheitlich alawitische Stadt und Hochburg des Teils der Bevölkerung, die das Regime unterstützt. Hier unterhält die russische Kriegsmarine ihren einzigen Stütpunkt im Mittelmeer. Der Besuch in der Stadt fand in Begleitung von drei offiziellen Begleitern statt, außerdem folgte ein Motorradfahrer ständig dem Auto.

Nebal Ali weint, als er von seinem Sohn Hasan Ali erzählt, der im Juni 18-jährig von einem Scharfschützen erschossen wurde: „Er war noch so jung, hatte so viel vor im Leben. Er wollte Ingenieurswissenschaften studieren und beim Wiederaufbau von Syrien helfen.“ Jetzt vermutet Nebal Ali seinen Sohn „im Paradies, da er sich als Märtyrer für eine gerechte Sache geopfert hat“.

„Über 2.000 Märtyrer stammen aus Tartus“, sagt Nizar Mousa, der Gouverneur der Stadt. „Märtyrer“ ist die gebräuchliche Bezeichnung für einen toten Kämpfer der eigenen Seite – das ist in diesem Fall das Assad-Regime. 100.000 Einwohner hat Tartus. Jeder Fünfzigste von ihnen hat demnach im Dienste der regulären Streitkräfte sein Leben verloren – „im Kampf für Syrien, an der Seite der glorreichen syrischen Armee“, wie der Gouverneur stolz betont.

Für die meisten Bewohner sind die Aufständischen „Terroristen“. Mariam etwa, die im Medienbüro des Gouverneurs arbeitet, kann nicht verstehen, warum Länder wie Frankreich Waffen an die Aufständischen liefern. Sie erinnert an den „Kannibalen“ Mohammed Khalid, der auf Seiten der Aufständischen kämpft und die Herzen seiner Opfer essen soll, und fragt empört: „Wie kann man im Namen von Demokratie und Freiheit solche Terroristen unterstützen?“

Die Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen, erklärt, weshalb die Armee seit fast drei Jahren den Angriffen der Aufständischen auf Tartus standhält. Madiha Mansours Sohn Ali al-Fahim war 27 Jahre alt, als er von Rebellen erschossen wurde. Doch sie gibt sich tapfer: „Mein Sohn hat bei der Verteidigung seines Landes den Märtyrertod gefunden. Wir alle sind bereit, uns für Syrien zu opfern. Wir lieben unser Land. Suleiman, mein anderer Sohn, ist Soldat in Deir-el-Zor. Er bekämpft die Terroristen, die aus allen Teilen der Welt zu uns kommen, um uns anzugreifen und zu töten. Trotz alledem wird Syrien siegen dank unserer heldenhaften Armee und unseres großartigen Präsidenten Baschar.“

Auch bezüglich der Frage, wer den Bürgerkrieg begonnen hat, herrschen keine Zweifel. Der 26-jährige Mohammed etwa erklärt: „Die ganze Welt ist gegen uns: Katar, Saudi-Arabien, die Türkei, dieser verdammte Erdogan – alle wollen sie unser Land erobern.“ Mohammed kämpfte in der Nähe von Damaskus, als Aufständische ihn anschossen. Jetzt sitzt er mit einem verbundenen Bein auf dem Sofa seines Wohnzimmers.

Hinter ihm an der Wand hängt ein Bild von Scheich Saleh al-Ali, der nach dem Ersten Weltkrieg die Revolte der Alawiten gegen die französische Kolonialmacht anführte. Den Unterschied zwischen dem Kampf seines Vorbilds al-Ali und seinem eigenen erklärt Mohammed so: „Der Feind saß damals im Ausland, das waren die Franzosen. Heute gibt es auch Feinde im Inneren: Das sind die Syrer, die die Ideen der Ausländer übernehmen.“

Autorenhinweis zu Martin Lejeune: Ehemaliger freier Mitarbeiter, die taz hat 2014 die Zusammenarbeit beendet.