STEFAN REINECKE ÜBER DEN WEG DER LINKSPARTEI
: Regieren oder recht haben

Bei einer Großen Koalition droht der Linkspartei ein Regressionsschub ins Anti-SPD-Muster

Mittwoch war ein guter Tag für die Linkspartei: Das Bundesverfassungsgericht hat die hysterische Überwachung durch den Verfassungsschutz zumindest begrenzt. Und Gregor Gysi führt die Fraktion erst mal weiter allein. Sahra Wagenknechts Versuch, sich als Kovorsitzende und damit als Gysis Nachfolgerin zu etablieren, ist gescheitert. Zum Glück. Denn Wagenknecht macht zwar in Talkshows eine gute Figur, würde die Fraktion aber wohl in die hermetisch abgeriegelte politische Selbstisolation führen.

Die Linksfraktion hat eine fein austarierte Spitze gewählt, exakt quotiert nach Ost/West, Mann/Frau, Realo/Fundi. Wagenknecht wird Gysis erste, sehr wichtige Vize, Dietmar Bartsch ein nicht ganz so wichtiger Vize. Und die Ost-Pragmatikerin Petra Sitte wird Parlamentarische Geschäftsführerin: ein unauffälliger, aber strategisch bedeutender Job.

Diese Fraktionsführung ist eine doppelte Botschaft: eine klare nach innen, eine undeutliche nach außen. Die Flügel der Linkspartei sind in der Lage, Kompromisse miteinander zu schließen, jedenfalls so lange Gysi den Stoßdämpfer zwischen den Lagern spielt, die sonst ungebremst aufeinander prallen würden.

Nach außen sind die Zeichen diffuser. Die entscheidende Frage ist noch immer ungeklärt: Wohin will die Linkspartei? Welches strategische Ziel peilt sie an? Hat sie überhaupt eins?

Dass der Verfassungsschutz nun nicht mehr nette Genossen überwachen darf, lobt die Linkspartei-Spitze zu Recht als westeuropäische Normalisierung. Hierzulande wird Kapitalismuskritik noch immer als demokratiegefährdende Gesinnung denunziert. Das ist das böse, dumme Erbe des Kalten Krieges – und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein Wink, dass die deutschen Geheimdienste endlich im 21. Jahrhundert ankommen sollten.

Aber darin steckt auch eine Frage an die Linkspartei: Will sie nun wirklich eine ganz normale politische Kraft links der SPD sein? Will sie Fundamentalopposition bleiben oder vitaler Teil eines Reformbündnisses werden? Will sie bloß recht haben oder mit Kompromissen Deutschland verändern?

Die Genossen kokettieren gerne mit Robin-Hood-Attitüden und mit dem Image, ganz anders als alle anderen zu sein. Vor allem der Wagenknecht-Flügel ordnet die Welt noch immer in übersichtliche Raster. Forsch reklamiert man für sich die Emanzipation und den Frieden sowieso. SPD, Union und Grüne werden pauschal als neoliberal und Kräfte der Finsternis verachtet.

Doch wenn die Linkspartei den Parlamentarismus ernst nimmt, muss sie die reale Möglichkeit schaffen, auch mal zu regieren. Dafür muss sie ihre, vor allem im Westen gepflegten Anti-SPD-Affekte überwinden. Denn die Sozialdemokraten unverdrossen als Hauptgegner zu traktieren und insgeheim auf Rot-Rot-Grün 2017 zu hoffen ist töricht. Beides zusammen ist eine paradoxe Botschaft. Das Angebot zur Zusammenarbeit an Rot-Grün ist jedenfalls nicht mehr als ein PR-Coup, wenn man sie gleichzeitig mit schriller Rhetorik als Verräter brandmarkt.

Die Aussichten für Rot-Rot-Grün sind, wenn man SPD und Grüne betrachtet, in der Tat trübe. Auch für später, auch für 2017. Die Grünen befinden sich mal wieder in einer Selbstfindungsphase mit ungewissem Ausgang. Der SPD dämmert zwar langsam, dass Rot-Grün mausetot ist und sie sich im schlimmsten Fall dauerhaft an die Union kettet. Aber dass man das Feuer gegen die Linkspartei besser einstellen sollte, sehen nur die Klugen in der SPD. Und deren Zahl ist überschaubar. Kurzum: Die Linkspartei sollte illusionslos das Ihre tun, um das Verhältnis zur SPD zu entkrampfen.

Falls es zur Großen Koalition kommt, wird die Linkspartei als größte Oppositionsfraktion im Bundestag so wichtig sein wie nie zuvor. Denn die Linkspartei wird Merkel als Erste Kontra geben. Das ist eine Rolle, in der Gysi, der Eloquente, glänzen wird.

Gerade bei einer Großen Koalition droht der Linkspartei aber auch ein Regressionsschub. Gefragt ist deshalb eine kluge, flexible Strategie. Die Partei muss gleichzeitig schlagkräftige Opposition im Bundestag sein – und Brücken Richtung SPD ausbauen. Dazu braucht es Beharrlichkeit, ein klares Ziel, Augenmaß und die Fähigkeit, Rückschläge zu ertragen. Können Gysi & Co. das?