Malala bekommt Sacharow-Preis: Ikonisierung eines Mädchens

Die Pakistanerin Malala Yousafazi bekommt den Sacharow-Preis. Freitag könnte der Friedensnobelpreis folgen. Ist sie zur westlichen Projektionsfläche geworden?

Was wird Malala mit solchen Preisen angetan? Bild: dpa

BERLIN taz | Keinen Tag gibt es bisher in dieser Woche, in dem einem aus den Medien nicht eine 16-Jährige mit Kopftuch ganz unschuldig anschaut. Malala Yousafzai hatte vor einem Jahr im pakistanischen Swat-Tal ein Talib in den Kopf geschossen. Denn sie hatte sich in der Islamisten-Hochburg lautstark für Bildung für Mädchen eingesetzt und sich trotz Drohungen nicht einschüchtern lassen.

Sie überlebte die drei Schüsse und konnte in Großbritannien erfolgreich therapiert werden. Seitdem nutzt sie ihre mittlerweile globale Bekanntheit, um das Recht auf Bildung für Mädchen einzufordern.

Bevor sie diese Woche in diversen Fernsehtalkshows nüchtern Herzen anspricht und an den gesunden Menschenverstand appelliert, durfte dieses mutige und außergewöhnliche Mädchen bereits an seinem 16. Geburtstag vor der UNO sprechen. Ihre Auftritte absolviert sie dabei so sympathisch wie eloquent und klar in ihren Aussagen.

Ergänzt und gefördert wird sie von der PR-Maschinerie des Buchverlages, der ihre Biografie „Ich bin Malala“ diese Woche in 27 Ländern gleichzeitig auf den Markt bringt. Wohl nicht zufällig werden in dieser Woche auch zwei wichtige politische Preise vergeben. Malala, wie sie in den Medien immer nur beim Vornamen genannt wird, wurde dafür jeweils nominiert. Am Donnerstag verkündete das Europaparlament, dass sie in diesem Jahr den Sacharow-Preis erhält, die höchste europäische Menschenrechtsauszeichnung.

Vernünftig verarbeiten

Freitag wird der diesjährige Friedensnobelpreis vergeben. Malala gilt als Favoritin. Sie wäre die bislang jüngste Preisträgerin. Der Vorsitzende des Nobelkomitees sagte bereits, das Alter spiele keine Rolle, was als Unterstützung interpretiert wird.

Malala hat ohne Frage Außergewöhnliches geleistet und ist eine beeindruckende Person. Sie verdient diese Preise, ganz abgesehen davon, dass schon so manche Person ausgezeichnet wurde, für die das nicht zutrifft. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, was einer 16-Jährigen mit so einem Preis eigentlich angetan wird? Kann ein minderjähriges Attentatsopfer das alles überhaupt noch vernünftig verarbeiten? Oder ist sie nicht vielmehr längst zu einer großen Projektionsfläche ihrer internationalen Unterstützer geworden?

Zumindest werden sich alle, die sich für den Preis für sie einsetzen, sehr, sehr gut fühlen können. Denn was gibt es Unterstützenswürdigeres als „unschuldige Mädchen“?

Aber es ist eben für eine westliche Institution wie das Europaparlament oder das Nobelkomitee auch eine leichte Übung, ein mutiges pakistanisches Mädchen auszuzeichnen und damit auf weit entfernte Missstände zu verweisen, über deren Unerträglichkeit wir uns hier im Westen sowieso alle schnell einig sind. Das Mädchen Malala hilft uns im Westen bei der Selbstvergewisserung, dass wir den Richtigen helfen und unsere Werte auch in südasiatischen Bergtälern geteilt werden. Zugleich können wir hervorragend demonstrieren, dass wir natürlich für Gleichberechtigung sind, auch wenn es bei uns immer noch damit hapert.

Nach Obama jetzt Manning?

Diese Projektionen würden auch alle nicht funktionieren, wenn Edward Snowdon den Sacharow-Preis oder Chelsea Manning den Friedensnobelpreis bekommen würden. Dann würde die mit den Preisen verbundene Kritik viel näher an uns rankommen, wir könnten uns einfach nicht so gut fühlen. Ganz abgesehen davon, wie stünde denn das Nobelpreiskomitee dar, wenn nach der Auszeichnung für Obama nun der „Landesverräter“ Manning geehrt würde? Das wäre längst nicht so einfach zu erklären wie bei diesem Mädchen.

Malala wird übrigens in Pakistan von Neidern angefeindet, als Nestbeschmutzerin bezeichnet und von Islamisten als US-Spionin diffamiert. Das ist alles Nonsens. Doch vernünftigere Stimmen warnen davor, dass solche Preisträger zu haben, das Land stolz machen würde, darüber dann aber leider gern vergessen würde, das dahinter liegende Problem wirklich anzugehen: Malala würde zur Projektion einer vermeintlichen Lösung.

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