Erdogan hat seine Lektion nicht gelernt

TÜRKEI II Die Regierung lässt Proteste von Studenten gegen die Abholzung eines Waldes auf dem Gelände der Universität in Ankara gewaltsam auflösen. Scharfe Kritik von scheidendem EU-Botschafter

ISTANBUL taz | Mit scharfer Kritik an der türkischen Regierung hat sich der EU-Botschafter in Ankara am Wochenanfang aus seinem Amt verabschiedet. Anders als die EU-Außenminister in Luxemburg, die der türkischen Regierung „Schritte in die richtige Richtung“ bescheinigten, zeigte sich EU-Botschafter Jean Maurice Ripert bei seiner Abschiedspressekonferenz am Dienstag in Ankara enttäuscht von Premierminister Recep Tayyip Erdogan und seiner Regierungsmannschaft.

„Einige Leute lernen ihre Lektion nie“, sagte der französische Diplomat und bezog sich damit auf die Reaktionen der Politik auf neue Proteste in Ankara. Seit Wochen demonstrieren dort die Studenten der Technischen Universität ÖDTÜ, weil die AKP-Stadtverwaltung durch den Campus eine neue Straße bauen will. Dafür soll ein kleiner Wald gefällt werden. Genauso wie im Falle des Istanbuler Geziparks zeigen die Verantwortlichen in Ankara, die alle zur Regierungspartei AKP gehören, erneut wenig Bereitschaft, mit den Studenten ihr Vorhaben abzustimmen. Ankaras Bürgermeister Melih Gökcek ließ in der Nacht von Freitag auf Samstag letzter Woche Bulldozer auffahren, um schon einmal Fakten zu schaffen, bevor ein Gericht über den Einspruch der Universität abschließend entscheiden konnte. Hunderte Bäume wurden bereits gefällt.

Die anschließenden Proteste in Ankara, Istanbul und anderen Städten ließ die Regierung mit Polizeiknüppeln und Tränengas ersticken. EU-Botschafter Ripert zeigte sich vor allem entsetzt, dass die Verantwortlichen erneut die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet haben. „Viele Reformen in der Türkei sind noch notwendig“, sagte er, „vor allem die aktive Zivilgesellschaft muss endlich gehört werden.“ Ripert erinnerte an den Ausspruch von Staatschef Abdullah Gül im Sommer nach den Gezi-Protesten: „Wir haben die Botschaft gehört.“ Offenbar gilt das nicht für Regierungschef Erdogan, meinte Ripert.

JÜRGEN GOTTSCHLICH