Kolumne Besser: Wieder 50 Ungläubige umgenietet!

Teegläser in die Luft – die Große Koalition will die „interkulturelle Öffnung“ der Medien weiter verstärken.

Gesellschaftstechnokratischer Kram Bild: dpa

Ich sage nicht ich, habe ich an dieser Stelle vor einiger Zeit mal geschrieben. Dass ich wieder eine Ausnahme machen muss, hat etwas mit dem Koalitionsvertrag zu tun. Dort steht neben vielerlei anderem Kram auch das: „Wir erkennen an, dass es in den Medien Verbesserungen insbesondere mit Blick auf die Präsenz von Menschen mit Migrationshintergrund gibt. Das Gespräch mit den Medien über ihre interkulturelle Öffnung muss jedoch weiter verstärkt werden.“

Vermutlich hat sich das irgendein Gesellschaftstechnokrat von der SPD ausgedacht, während folgender Beitrag eher von einem CDU-Referenten stammen dürfte: „Zur konsequenten Rückführung nicht schutzbedürftiger Menschen werden wir eine abgestimmte Strategie begründen.“ Aber vielleicht war es auch andersrum. Egal. Mich jedenfalls hat das an eine Begebenheit erinnert, von der ich Ihnen nun erzählen will.

Eine Zeit lang schrieb ich als freier Autor für eine regionale Zeitung mit überregionalem Anspruch. Dies endete, als mich nach den Terroranschlägen in der Londoner U-Bahn ein leitender Redakteur anrief und fragte, ob ich ein paar Teestuben und Moscheen abklappern könne, um herauszufinden, was die „türkischen Mitbürger“ darüber denken. Ich hatte schon einige Mitbürgerartikel geschrieben, aber das war zu viel. So einen Quatsch wollte ich nicht machen.

Ein Fehler. So, wie es zwei oder drei Sachen gibt, die ich heute bedaure, sie geschrieben zu haben, gibt es zwei Texte, die ich bedaure, sie nicht geschrieben zu haben. Dies ist einer davon. Was für eine Story wäre das geworden! Türkische Männer, die ihre Teegläser in die Luft heben und rufen: „Super, haben wir wieder 50 Ungläubige umgenietet!“ Kopftuchmädchen, die Zeitungssauschnitte mit Fotos der Attentäter in ihren Portemonnaies aufbewahren! Jungs, die in den Hinterhöfen Passanten und al-Qaida spielen!

Garantiert hätte der Redakteur mir diese Geschichte abgenommen. „Aufmachertauglich“, hätte er vielleicht gejubelt. Und ich hätte an anderer Stelle die eigentliche Geschichte erzählt: Was deutsche Journalisten sich vorstellen, was in den Köpfen ihrer „türkischen Mitbürger“ so vor sich geht, und wie bereitwillig sie jeden Blödsinn abdrucken, solange dieser ihre Vorurteile bestätigt.

Ich weiß nicht, ob dieser Kollege heute noch so ein Stück in Auftrag geben würde. Jedenfalls hat er es sehr bedauert, dass ich danach die Lust verlor, weiterhin für seine regionale Zeitung mit überregionalem Anspruch zu schreiben. Aber zu der Erkenntnis, dass ihre „interkulturelle Öffnung“ verstärkt werden müsse, war die damals schon gelangt, ganz ohne das Zutun irgendeiner Bundesregierung. Die Nachfrage ist seither nicht gesunken, im Gegenteil. Und vielleicht müssen junge Kollegen, die Fatma oder Yassin (übrigens: Danke für den Hinweis!) heißen, heute noch derlei Aufgaben erledigen. Andererseits sind Lehrjahre keine Herrenjahre, und wer nicht in Teestuben geht, muss eben zum SPD-Ortsverein.

Besser: Deine Mudda muss verstärkt werden.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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