Schulpflicht für Evangelikale: Klassenfahrten zumutbar

Niederlage für einen freikirchlichen Vater: Religiös begründetes Fernbleiben von Schulveranstaltungen wie Klassenfahrten muss die Ausnahme bleiben.

Sozialisierung mal nicht unter den Augen der Eltern: Schüler auf Klassenfahrt am See Bild: dpa

BREMEN taz | Eine dezidiert religiöse Erziehung ist kein Grund, Schüler von der Teilnahme an Klassenfahrten freizustellen. Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat die Klage eines evangelikalen Vaters abgewiesen, der geltend gemacht hatte, seine Kinder könnten auf der Schulfreizeit nicht christlich betreut werden. Außerdem seien sie schädlichen Einflüssen ihrer Mitschüler ausgesetzt. Eine Befreiung von schulischen Pflichtveranstaltungen müsse die Ausnahme bleiben, urteilte das Gericht. Schließlich habe die Schule gerade in einer religiös vielgestaltigen Gesellschaft „eine wichtige Integrationsfunktion“.

Klassenfahrten, der Sexualkunde- und der Schwimmunterricht, manchmal auch die Biologie oder die Feiertage sind immer wieder Gegenstand von Streitigkeiten zwischen Eltern und Schulbehörden. Besonders prominent werden solche Fälle diskutiert, wenn Muslime entsprechende Ausnahmen beanspruchen. Mit seinem Urteil schloss das Bremer Gericht an die jüngst weiterentwickelte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an, das im Falle einer christlichen und einer muslimischen Familie die Möglichkeiten der Befreiung vom Unterricht eingeschränkt hat.

In Bremerhaven geht es um eine Familie, die der Freien Christengemeinde angehört, einer evangelischen Freikirche im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden. Viele dieser Gemeinden bezeichnen sich als evangelikal, weil sie „Wert auf eine persönliche Entscheidung zum Glauben an Christus legen“. Sie sehen sich nicht als Sekten, weil sie sich allein auf die Bibel beziehen und keinen Ausschließlichkeitsanspruch gegen andere christliche Gemeinden erheben. Die Bremerhavener Christengemeinde glaubt laut ihrer Website „an die Bibel, das vollkommene Wort Gottes als einzig gültige Wahrheit für jeden Menschen“.

Der Bremerhavener Vater wehrte sich dagegen, dass drei seiner Kinder aus den Klassen fünf, sechs und sieben zu einer Theaterwerkstatt mit Übernachtungen ins 35 Kilometer entfernte Albstedt fahren sollten. Seien die Kinder aus dem Haus, könne er mit ihnen nicht beten und auch nicht in der Bibel lesen, argumentierte er. Das verletze sein Grundrecht auf die Erziehung.

Zudem werde das Umfeld einer Klassenfahrt maßgeblich durch die Mitschüler geprägt. Schimpfworte mit religiösen oder sexuellen Anspielungen könnten die Kinder verstören – bis hin zu psychischen Erkrankungen. Schließlich seien die Kinder in ihrem christlichen Werteverständnis noch nicht so gefestigt wie Erwachsene. Der Vater schlug vor, die Kinder während der Klassenfahrt in Parallelklassen unterzubringen.

Das Bremer OVG legte fest, dass Eltern nur in Ausnahmefällen die Befreiung ihrer Kinder vom Unterricht aus religiösen Gründen verlangen können. Das OVG bezog sich dabei auf zwei Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom September:

Krabat-Urteil: Angehörigen der Zeugen Jehovas sei es zumutbar, dass ihre Kinder einen Film sehen, in dem schwarze Magie praktiziert wird - wie in dem Jugendbuch von Otfried Preußler.

Burkini-Urteil: Einer muslimischen Schülerin sei zuzumuten, zusammen mit Jungs am Schwimmunterricht teilzunehmen, wenn sie einen Badeanzug nach muslimischen Vorschriften trage.

Darauf wollte sich das Gericht nicht einlassen: Mehrtägige Freizeiten gehörten zum Erziehungsauftrag der Schule, „der nicht auf Wissensvermittlung beschränkt ist, sondern auch die Gesamterziehung des jungen Menschen und damit auch seine Erziehung zum Sozialverhalten zum Gegenstand hat“.

Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag sei gleichrangig mit dem Recht der Eltern, ihre Kinder religiös zu erziehen. Die Schule müsse den Kindern ermöglichen, ihre Lebenschancen zu entfalten und sie müsse für den Zusammenhalt der Gesellschaft sorgen. Der Staat müsse deshalb auch von den Eltern Rücksicht verlangen. „Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag würde praktisch leerlaufen, müsste sich die Schule aufgrund der Vielzahl für verbindlich erachteter religiöser Verhaltensregeln stets auf den kleinsten gemeinsamen Nenner beschränken“, fand das Gericht.

Im Konfliktfall sei ein Kompromiss zu suchen. Der Schulleiter hatte vorgeschlagen, der Vater könne seine Kinder jeden Abend aus dem Schullandheim abholen, wie es bei einem Cousin der Kinder geschehen sei. Der Vater lehnte das ab. „Wer annehmbare Ausweichmöglichkeiten ausschlägt, muss notfalls die Konsequenz hinnehmen, dass er sich nicht länger auf einen Vorrang seiner Rechtsposition berufen darf“, urteilte das Gericht.

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