Hessen wird dunkelgrün

BÜNDNIS Die erste schwarz-grüne Regierung in einem Flächenstaat steht bevor. Und die will vor allem eins: sparen, sparen, sparen

Der Frankfurter Flughafen wird kaum zu einem „Flüsterflughafen“ werden, auch wenn ihm noch mehr Lärmschutz auferlegt wurde

AUS WIESBADEN ARNO FRANK

Das Parkhotel in Schlangenbad unweit der hessischen Landeshauptstadt ist ein Ort mit Geschichte. Im 19. Jahrhundert übernachteten im Vorgängerbau, einem Kurhaus, historische Persönlichkeiten wie Lord Wellington, der Bezwinger Napoleons, oder die Zarin Alexandra, eine Prinzessin von Hessen-Darmstadt. Selten aber stand das Gebäude von 1912 so sehr im Mittelpunkt des Interesses wie in den vergangenen Wochen, als Delegationen von CDU und Grünen erstmals einen Koalitionsvertrag in einem Flächenland aushandelten.

Für die Politiker war ein ganzer Flur reserviert. Die Grünen tagten im „Blauen Salon“, die CDU tagte in „Salon 1“, gemeinsam verhandelt wurde unter den Kronleuchtern im mondänen Kursaal. In der Nacht von Montag auf Dienstag endlich verkündete ein sichtlich erschöpfter Ministerpräsident Volker Bouffier nach zwölf Verhandlungsstunden: „Der Vertrag steht.“ Woran auch niemand ernsthaft gezweifelt hatte. Bouffier und Grünen-Chef Tarek Al-Wazir hätten kaum jemals Koalitionsgespräche aufgenommen, wenn sie sich nicht bereits in den Sondierungsgesprächen über die wichtigsten Streitpunkte geeinigt hätten. Entsprechend geschickt wurden dann die eigentlichen Verhandlungen orchestriert. Zunächst wurden Punkte abgehakt, bei denen sich die Programme beider Parteien ohnehin deckten oder die Differenzen nur geringfügig waren – wie etwa bei der Bildungs- oder Integrationspolitik. Danach ging’s um Streitpunkte wie den Frankfurter Flughafen. Und zuletzt um die Frage, wie denn das alles bezahlt werden soll: „Wir sind um kurz nach 3 h fertiggeworden“, twitterte Al-Wazir am Dienstagmorgen: „Der Entwurf für einen Koalitionsvertrag steht. Es gab schwierige Verhandlungen um die Landesfinanzen.“

Deren Ergebnis wurde wie üblich vom hessischen CDU-Generalsekretär Peter Beuth und Kai Klose, dem Koordinator der grünen Verhandlungsgruppe, in einem schmucklosen Raum im Wiesbadener Landtag vorgestellt. So soll im Haushalt und in Hinblick auf die Schuldenbremse bis 2019 rund eine Milliarde Euro eingespart werden – vor allem beim Landespersonal und den Beamten, die ab 2016 nur ein Prozent mehr Gehalt bekommen werden. Über bisherige Pläne hinaus ist ab 2015 der Abbau von jährlich 350 Stellen geplant. Lehrerstellen sollen entgegen früheren Befürchtungen nicht gestrichen werden. Dafür gibt es Kürzungen im Hochschulbereich, wo durch die „Streckung“ zweier Programme bis 2019 rund 70 Millionen Euro gespart werden sollen. Eine Erhöhung der Grunderwerbsteuer von fünf auf sechs Prozent soll dem Land jährlich 130 Millionen Euro einbringen, bei Verwaltungsausgaben und Investitionen könnten 50 Millionen Euro eingespart werden.

Ab dem Jahr 2020 darf Hessen wegen der in der Verfassung festgeschriebenen Schuldenbremse – gegen die die Linkspartei erfolglos geklagt hatte – keine neuen Schulden mehr machen. „Wenn es gelingt“, sagte Al-Wazir am Dienstag, „wird es das erste Mal nach 50 Jahren sein, dass keine neuen Schulden gemacht werden.“ Neben der Sparpolitik war den Grünen auch das Thema der besseren Einbeziehung von Menschen mit Migrationshintergrund wichtig. In Hessen gehört dazu jeder vierte Bürger. Unter Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen soll ein spezieller Integrationsplan erarbeitet werden, in das CDU-geführte Sozialministerium wird zu diesem Zweck ein grüner Staatssekretär für Integration und Anti-Diskriminierung einziehen.

Ein bisschen Frieden

Der Frankfurter Flughafen wird unterdessen kaum zu einem „Flüsterflughafen“ werden, auch wenn ihm noch mehr Lärmschutz auferlegt wurde. Das strenge Nachtflugverbot soll ausgeweitet, die nächtliche Lärmpause mittelfristig um eine Stunde verlängert werden. Überdies sollen wichtige Bauvorhaben wie das Terminal 3 noch einmal „geprüft“ – also auf die lange Bank – geschoben werden. Immerhin ist damit der ideologische Konfliktherd der vergangenen Jahrzehnte vorerst befriedet. Und auch wenn die Grünen nur zwei, die CDU aber acht Ministerien bekommen, sieht Tarek Al-Wazir in dem Vertrag eine „gute Grundlage, fünf Jahre einerseits verlässlich und andererseits mit neuen Perspektiven regieren zu können“. Der Grünen-Chef hatte die Ressorts Wirtschaft und Verkehr für sich beansprucht, die CDU wird ihre Minister erst im Januar vorstellen.

Offiziell wollen Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir den Koalitionsvertrag ihren Parteigremien und der Öffentlichkeit am Mittwoch präsentieren. Am kommenden Samstag wird eine Landesmitgliederversammlung der Grünen und die CDU auf einem kleinen Parteitag über die historische Vereinbarung entscheiden. Die neue Regierung soll dann am 18. Januar 2014 ihre Arbeit aufnehmen.