„Ich bin es leid“

MIGRATION Elena Marburg, die Integrationsbeauftragte des Bezirks Marzahn-Hellersdorf, stammt aus Bulgarien. Die Debatte um „Armutszuwanderung“ findet sie „unehrlich“

■ ist Ingenieurin für Chemietechnologie, Juristin und seit 1990 Integrationsbeauftragte von Marzahn bzw. Marzahn-Hellersdorf (seit 2001). Die gebürtige Bulgarin lebt seit 1975 in Berlin.

INTERVIEW MARINA MAI

taz: Frau Marburg, wann haben Sie eigentlich das letzte Mal Ihre Muttersprache Bulgarisch gesprochen?

Elena Marburg: Heute Morgen am Telefon mit meiner Schwester in Sofia. Wenn Telefonate nicht mitzählen, dann zuletzt vor zwei Tagen – mit meiner Enkeltochter. Ich bin sehr stolz darauf, dass nach meinen Söhnen auch meine Enkelkinder zweisprachig aufwachsen.

Verfolgt man die politische Diskussion, kann man den Eindruck gewinnen, Integrationsbeauftragte würden neuerdings immerzu Bulgarisch und Rumänisch sprechen müssen.

Das ist Unsinn. Aber in der Tat haben sich in den letzten 12 Monaten immer mal wieder bulgarische Zuwanderer aus ganz Berlin bei mir gemeldet, die Hilfe suchen. Das gab es in den 20 Jahren davor seltener. Ich habe mir auf meinem Rechner schon eine bulgarische Tastatur eingerichtet.

Bei welchen Fragen suchen die Bulgaren Hilfe?

Es sind vor allem Fragen rund um Wohnen, Arbeit und Bildung, aber auch Beschwerden über Arbeitgeber. Kürzlich haben sich drei Frauen bei mir gemeldet, die rund um die Uhr alte Menschen in Privathaushalten pflegen und unregelmäßig Lohn erhalten.

Wie erleben Sie als gebürtige Bulgarin die Diskussion über „Armutszuwanderung“ aus Bulgarien und Rumänien?

Das ärgert mich. Ich bin es leid, dass Bulgaren und Rumänen zu Europäern zweiter Klasse erklärt werden sollen. Unsere Herkunftsländer werden zu Armenhäusern deklariert, aus denen Menschen wie Heuschrecken ausschwärmen würden, um die deutschen Sozialsysteme auszuplündern. Viele Bulgaren tragen aber seit Jahren zum Wohlstand und zum sozialen Klima in Deutschland bei. Nehmen Sie zum Beispiel den Schauspieler Samuel Finzi, den Modedesigner Vladimir Karaleev oder die Profifußballer Dimitar Berbatov und Krassimir Balakov. Meine beste Freundin war jahrelang Solistin an der Staatsoper. Die meisten Bulgaren und Rumänen sind Arbeits- und keine Armutszuwanderer. Es geht ja bei dieser unredlichen und unehrlichen Diskussion in Wirklichkeit um eine Minderheit von bulgarischen und rumänischen Staatsbürgern, die man nicht haben will, nämlich um die Roma. Probleme mit Roma will ich gar nicht negieren. Ich habe aber auch Freunde, die Roma sind, und es ist nicht so, dass alle Roma Probleme machen.

Was denn für Probleme zum Beispiel?

Wir haben in Marzahn-Hellersdorf seit Jahren Roma-Zuwanderer aus Polen. Über die spricht niemand. Die starke Familienorientierung und das sehr, sehr große Misstrauen gegen Behörden führen schon zu Problemen. Wenn die Oma in Polen das Bedürfnis hat, ihre Enkelkinder um sich zu haben, dann werden einige halt nach Polen geschickt, trotz Schulpflicht. Es gab auch einen Fall, wo eine Oma in den großen Pausen auf dem Schulhof auftauchte und Kinder ohrfeigte, die ihren Enkeln etwas Böses taten. Da mussten Sozialarbeiter und Pädagogen zwischen den Wertesystemen vermitteln. Aber wir haben auch große Integrationserfolge bei polnischen Roma. Unsere Volkshochschule hat über Monate um Vertrauen geworben, damit Roma-Frauen Alphabetisierungskurse belegen. Inzwischen sind die Kurse Selbstläufer. Die Teilnehmer werben selbst unter Landsleuten.

Zurück zu den Bulgaren: Gibt es Orte, an denen sich Berliner Bulgaren treffen?

Ich bin kein Mensch, der ständig zu herkunftsbezogenen Treffen rennt. Neben bulgarischen Freunden treffe ich Bulgaren am ehesten in wirklich guten bulgarischen Restaurants, zum Beispiel im BIP in Pankow. Darüber hinaus gibt es Facebook-Gruppen, in denen sich Neuankömmlinge austauschen und gegenseitig Tipps geben. Die Beratungsstelle „faire Mobilität“ beim DGB hat sich in letzter Zeit zu einem Ort entwickelt, wo bulgarische Zuwanderer Hilfe in ihrer Muttersprache bei Problemen rund um die Arbeit erhalten.

Wie würden Sie die Gruppe der Bulgaren in Berlin beschreiben?

„Die Diskussion in Deutschland erleben viele Menschen in Bulgarien mit Gefühlen von Enttäuschung und Verbitterung“

Keine Herkunftsgruppe ist homogen. In Berlin leben rund 1.500 deutsche Staatsbürger mit bulgarischem Migrationshintergrund. Darunter sind viele Musiker, Künstler und Gastronomen, die noch von der DDR als Spezialisten angeworben wurden. Darunter sind auch Menschen, die wie ich der Liebe wegen in die DDR kamen. Und natürlich viele Kinder. Unter den fast 10.000 Berlinern mit einem bulgarischen Pass sind sowohl Studenten, Ärzte und andere Fachleute als auch die Roma aus der Eisfabrik. Andere arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen beispielsweise als Altenpfleger, Bauarbeiter oder Reinigungskräfte.

Aber die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt doch erst seit Jahresbeginn.

Ja, zum Glück haben wir die endlich. Es gibt natürlich schon lange arbeitnehmerähnliche Jobs. Nur waren dazu bisher oft halbseidene Vermittlerfirmen zwischengeschaltet. Ich hoffe auf mehr Rechtssicherheit für diese Beschäftigten, wenn sie sich seit diesem Jahr bei Arbeitgebern anstellen lassen können.

Wie wird in Bulgarien die Diskussion in Deutschland über „Armutszuwanderung“ wahrgenommen?

Mit Gefühlen von Enttäuschung, Verletzung und Verbitterung, die sich bisweilen gegen die Europäische Union und Bulgariens Mitgliedschaft richten. Aber manche Leute in Bulgarien nehmen es auch mit Humor. Mehrere Meinungen in Foren großer Zeitungen beispielsweise lauten, die Deutschen hätten uns jahrelang erklärt, wie wir Roma integrieren sollen. Dann sollen die das doch mal vormachen.