FELIX LEE ÜBER DIE MESSERATTACKE IM SÜDWESTCHINESISCHEN KUNMING
: China kennt keinen Dschihad

Einen solchen Anschlag hat es in der Geschichte der Volksrepublik noch nicht gegeben. Zehn schwarz gekleidete Männer und Frauen drängen in den Bahnhof der südwestchinesischen Großstadt Kunming und metzeln wahllos wehrlose Menschen nieder. 33 Tote, mehr als 140 Verletzte – und ein geschocktes Land, das Anschläge dieses Ausmaßes nur von Bildern aus dem Ausland kennt. Schon schreiben chinesische Medien von Chinas 9/11. Blogger befürchten, der Dschihad habe nun auch das Reich der Mitte erreicht. Doch das ist übertriebene Hysterie.

Seit Jahrzehnten kommt es in Chinas nordwestlicher Provinz Xinjiang immer wieder zu schweren Auseinandersetzungen. Die Uiguren, eine seit vielen Jahrhunderten in dieser Region beheimatete muslimische Volksgruppe, fühlen sich von den Zugezogenen aus dem chinesischen Kernland diskriminiert. Denn nicht wenige Chinesen halten Uiguren für schmutzig und faul und deren Kultur und Sprache für minderwertig. Uiguren werden bei der Vergabe von Jobs benachteiligt.

Und, ja, auch der Islam spielt in dem Konflikt eine Rolle. Die Uiguren dürfen ihren Glauben nicht in dem Maße praktizieren, wie sie es gerne würden. Doch das ist nur ein Aspekt. Im Wesentlichen begehren die Uiguren aus sozialen und kulturellen Gründen gegen den Obrigkeitsstaat auf.

Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass hinter der abscheulichen Messerattacke „uigurische Separatisten“ stecken, wie die Behörden umgehend behaupteten, noch bevor die Ermittlungen überhaupt begonnen haben: Die chinesische Führung macht es sich zu einfach, wenn sie versucht, die Unzufriedenheit der Uiguren in Xinjiang mit islamistischem Terror gleichzusetzen. Mit der Bekämpfung des Rassismus in den eigenen Reihen würde sie sehr viel mehr zur Lösung des Konflikts beitragen.

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