Ende der Ermächtigung

DESPOTEN I Auf ihrem Parteitag rebelliert die Basis der rechtskonservativen AfD: Die von der Parteispitze vorgelegte Satzung fällt durch. Die hätte Chef Lucke mehr Macht beschert

„Pfui!“-Rufe ertönen. Dieser Weg, klagt ein Redner, sei „undemokratisch wie nichts“

AUS ERFURT KONRAD LITSCHKO

Am Sonntagnachmittag, als sich der AfD-Parteitag dem Ende neigt, gibt sich Bernd Lucke schon wieder kämpferisch. Ja, er habe sich das anders vorgestellt, sagt der Parteichef. Seine Kommunikation sei nicht optimal gewesen, und eine „gewisse Minderheit“ habe Krach geschlagen. „Die große Mehrheit aber steht hinter mir“, sagt Lucke. „Es gibt keine Niederlage.“

Das könnte man auch anders sehen. Rund 1.000 Mitglieder der Alternative für Deutschland (AfD) kamen am Wochenende in Erfurt zum Bundesparteitag zusammen. Um das Programm zur Europawahl Ende Mai sollte es gehen. Das Treffen aber dominierte ein anderes Thema: der Streit über eine neue, von der Parteispitze vorgelegte Satzung.

Die würde dem Bundesvorstand einen ordentlichen Machtgewinn bescheren, allen voran Lucke. Statt einer Dreierspitze gäbe es nur noch einen Vorsitzenden. Auch könnte der Bundesvorstand Landesvorstände oder ganze Verbände leichter ausschließen.

Am Samstag droht der Parteitag deshalb im Chaos zu versinken. Mehrere Mitglieder sehen in der Satzung „autokratische Züge“ – und ernten breiten Applaus. „Sind wir von allen guten Geistern verlassen, das so durchzupeitschen?“, schimpft Hermann Behrendt, AfD-Vize in NRW – und ursprünglich Mitautor der Satzung. Immer wieder werden Eilanträge gestellt, es wird gejohlt und gebuht.

Irgendwann knickt Lucke ein. Noch kurz vorm Parteitag hatte er eine entschärfte Version der Satzung verschickt. Die komme „in der Tat nicht fristgerecht“. Er sei „selbst unglücklich über das Verfahren“, versucht er die Basis auf dem Parteitag zu beruhigen. Er würde die Satzung deshalb vorerst zurückziehen. Die Basis macht’s offiziell: Sie stimmt mit großer Mehrheit für eine Vertagung der Satzungsentscheidung.

Wenig später steht sie hinter ihrem Chef wie eh und je. Da preist Lucke in einer Rede die AfD als „Freiheitsbewegung gegen den Obrigkeitsstaat“ – und holt aus zu einer minutenlangen Medienschelte. Von Bild bis FAZ werde die AfD „an den Pranger gestellt“. „Ich finde es beschämend, dass niemand, kein Politiker, kein Journalist, kein Intellektueller sich je für uns in die Bresche geworfen hat.“

„Jawohl!“, schallt es zurück. Stehende Ovationen.

Doch am Sonntag entbrennt der Streit über die Satzung neu. Der Parteitag einigt sich auf eine Kommission, die eine neue Version erarbeiten soll. Der Vorschlag aber, dass am Ende nicht mehr die Mitglieder, sondern ein Delegiertenparteitag darüber abstimmen soll, wird breit weggestimmt. „Pfui!“-Rufe ertönen. Dieser Weg, klagt ein Redner, sei „undemokratisch wie nichts“.

Zwischendrin verabschiedet die AfD dann noch ihr Europaprogramm, diesmal unaufgeregt. Der von der Parteispitze erarbeitete Entwurf wird größtenteils durchgewunken: Ausstieg aus dem „Einheits-Euro“, kein Mindestlohn, kein EU-Beitritt der Türkei, keine „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“. Aber auch ein Recht auf Arbeit für Asylbewerber oder ein Nein zur Vorratsdatenspeicherung.

Hans-Olaf Henkel, einst Industriechef, heute Spitzenkandidat neben Lucke zur Europawahl, spricht von einem „Programm für die Mitte der Gesellschaft“. Lucke hat noch einen Vorschlag parat: Er schlägt Henkel anstelle des SPD-Anwärters Martin Schulz als Präsidenten der EU-Kommission vor. „Dann würden die Probleme Europas endlich angegriffen.“ Jubel im Saal. Am Sonntagabend verschafft die Partei Henkel auch real noch ein Amt: Sie wählt ihn zum neuen zweiten Bundesvize. Wieder Applaus, Lucke strahlt. Einigkeit, endlich.

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