Abdel-Samad über Islam und Muslime: „Ich sehe faschistoide Züge“

Er kritisiert, provoziert und lässt sich nicht einschüchtern – der Publizist Hamed Abdel-Samad im Gespräch über sein neues Buch „Der islamische Faschismus“.

Einige Muslime seien auch friedlich gesinnt, meint Abdel-Samad. Wer aber in die Politik geht, wolle die Welt beherrschen. Bild: reuters

taz: In Ihrem neuen Buch „Der islamische Faschismus“ schreiben Sie, dass der Faschismus im Ur-Islam angelegt sei. Aber sind es nicht nur die extremen Gruppen, die sich „faschistisch“ verhalten?

Hamed Abdel-Samad: Woher kommt die Auserwähltheit, wegen der sich Muslime für moralisch überlegen halten? Das steht im Koran. Dass die Muslime ihre Religion verbreiten und gegen die Ungläubigen kämpfen sollten, das haben nicht erst die Islamisten erfunden, sondern es steht im Koran. Auch das Dschihad-Prinzip ist im Ur-Islam verankert. Die Idee des unfehlbaren, charismatischen Führers, das Gottesbild, dass man mit Gott nicht verhandelt, dass man Gott nicht infrage stellt, das sind alles Elemente, die im Koran verankert sind. Die naive Aufteilung der Welt in Gläubige und Ungläubige, das haben nicht Islamisten erfunden, auch das ist auch im Ur-Islam verankert. Deswegen sage ich, dass der islamische Faschismus nicht erst mit dem Aufstieg der Muslimbruderschaft entstanden ist, sondern seine Anfänge in der Entstehungsgeschichte des Islams hat.

Sind deshalb alle Muslime Ihrer Meinung nach faschistoid?

Nein. Es gibt natürlich Muslime, die aus ihrer Religion bestimmte Dinge ziehen, die friedlich sind, die das soziale Leben befördern und so weiter. Ich unterscheide zwischen der spirituellen und sozialen Seite des Islam und der juristisch-politischen. Die juristisch-politische Seite des Islam ist faschistoid und kann nicht anders, denn wenn ein Islamist in die Politik geht, hat er ein Ziel, nämlich eine islamistische Gesellschaftsordnung durchzusetzen, diese durch die Regeln der Scharia zu beherrschen und im nächsten Schritt auch die Welt zu beherrschen. Das ist das Programm eines Islamisten. Wenn man die Religion politisch entleert, dann kann man von einer nichtfaschistoiden Religion sprechen. Aber wenn die Religion mit politischen Ansprüchen daherkommt, dann sehe ich klar und deutlich faschistoide Züge.

Was kann man Ihrer Meinung nach dagegen tun?

Man muss der Vernunft eine Chance geben, der historisch-kritischen Analyse der Religion. Aber damit das passieren kann, muss man die Religion politisch entmachten. In der islamischen Welt ist das noch nicht der Fall gewesen. Säkularismus kommt am Ende allen zugute.

wurde 1972 als Sohn eines sunnitischen Imams in der Nähe von Kairo geboren. Er studierte in Kairo Englisch, Französisch und Japanisch und ab 1995 Politik in Augsburg.

Abdel-Samad lehrte bis 2009 am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität München und nahm auf Einladung des Innenministers 2010 an der 2. Deutschen Islamkonferenz teil.

Am 4. Juni 2013 hielt er in Kairo einen Vortrag über die Muslimbruderschaft. Das zog einen Mordaufruf eines radikalten Predigers nach sich.

Sein Buch „Der islamische Faschismus. Eine Analyse“ erscheint im Droemer Verlag, 224 Seiten, 18 Euro. Am 2. April stellt er in München seine Thesen vor.

Der Titel ihres neuen Buchs ist der Titel eines Vortrags, den Sie im vergangenen Jahr in Ägypten gehalten haben. Danach wurden Sie von ägyptischen Fundamentalisten mit dem Tode bedroht. Wie gehen Sie mit diesen Hetzkampagnen um?

Die Anfeindungen bestätigen ja meine These. Was machen Faschisten? Sie versuchen, Andersdenkende zu liquidieren, zum Schweigen zu bringen. Aber das Buch unter diesem Titel herauszubringen war jetzt nicht etwa meine Rache, sondern im Gegenteil, ich wollte zeigen, warum ich zu dieser Erkenntnis gekommen bin. Ich versuche, historisch, politisch, gesellschaftskritisch in die Tiefe zu gehen und zu schauen, warum wir heute da stehen, wo wir sind, und wie wir damit umgehen können, sowohl in den islamischen Ländern als auch in Europa.

Glauben Sie, dass die Radikalen in Ägypten auf Ihre Argumente eingehen?

Klar hoffe ich, dass sich mehr Leute damit auseinandersetzen, und zwar nicht durch Hass und Emotionen, sondern vernünftig, und das hat der Vortrag damals interessanterweise auch geschafft. Früher hatten vielleicht mehr die Intellektuellen meine Bücher oder meine Artikel gelesen. Nun haben die Islamisten diese These vom Faschismus so prominent gemacht, dass viele Islamisten, viele junge Leute, davon gelesen haben. Natürlich bekomme ich viele Drohungen.

Das ist auch nach der Absetzung des früheren Präsidenten und Muslimbruders Mursi nicht besser geworden?

Nein. Im Gegenteil, da sind sie noch wütender geworden. Es kommen aber gelegentlich auch von diesem konservativen Lager Leute, die sagen, ich will verstehen, was du sagst, was du genau gemeint hast. Und das sind für mich die Menschen, für die das Buch interessant werden kann, weil es etwas bewirkt. Ich selbst war ja auch irgendwann Muslimbruder und habe irgendwann angefangen, mich auch mit kritischen Büchern zu beschäftigen. Die haben meine Sicht der Dinge verändert. Kein Wort geht verloren, glaube ich, auch das, was man sofort als Populismus oder Hetze abstempelt. Auch die Provokation hinterlässt Spuren, und nicht immer nur negative.

Sie haben mal gesagt: Die letzte Schlacht der Fundamentalisten, damit meinten Sie die Muslimbrüder, kann noch sehr lange dauern. Gilt der Satz heute immer noch?

Die Islamisten machen sehr viel Blödsinn, sie machen sehr viel kaputt. Und dann kommen die moderaten Muslime und sagen: Der Islam ist richtig, die Theorie stimmt, nur die Anwendung war falsch. Und deshalb wagt man es noch einmal, noch ein Experiment, noch ein Experiment, und man lernt nicht aus der Geschichte. Auch weil die Religion unantastbar ist. Natürlich profitieren die Islamisten auch vom Scheitern der Säkularen, denn die säkularen Machthaber haben nicht für Rechtsstaatlichkeit gesorgt, sie haben nicht für Wachstum und Arbeitsplätze für junge Leute gesorgt. Deshalb kommen die Islamisten und sagen immer wieder: Lasst uns zu Gott zurückkehren, dann geht’s uns im Diesseits und im Jenseits besser. Das ist eine naive Mischung, aber sie funktioniert.

Mit der Religion ist also kein Umgang zu finden? Man muss sie abschaffen?

Nein! Man muss sie politisch entmachten. Die Menschen brauchen Religion, die Ägypter zum Beispiel kann ich mir ohne die Spiritualität des Islams gar nicht vorstellen. Die Religion nimmt uns im Umgang miteinander viel Übel weg, sonst hätten wir wirklich gravierende soziale Probleme. Aber wenn die Religion politisch oder juristisch am Werk ist, dann zerstört sie sehr viel und nimmt den Gesellschaften die Substanz, die Kreativität. Wenn man will, dass die Religion spirituell und sozial überlebt, muss man die Religion politisch entmachten.

Wie würden Sie das am Beispiel Ägypten, ihrem Heimatland, angehen?

Die ersten Schritte sind für mich Arbeitsplätze. Die Wirtschaft ist erst einmal der Schlüssel, Menschen, die wirtschaftlich unabhängig sind, können unabhängig denken. Dann kommt Bildung, aber das wird ein sehr langer Prozess werden, da muss man den Schaden von mehreren Jahrhunderten überwinden. Und dann eben der Umgang mit Religion, es muss eine offene, ehrliche Debatte geführt werden. Wer glauben will, gerne. Aber wer sich von der Religion abwenden will, soll nicht mit Sanktionen rechnen müssen. Eigentlich muss man das Rad nicht neu erfinden, in Europa hat man es auch geschafft.

Trauen Sie der ägyptischen Regierung und dem zukünftigen Präsidenten das zu?

Das wird sehr schwierig sein. Wenn ich die Leute sehe, die die Zügel der Macht in der Hand halten, wie sie denken, wer ihre Günstlinge sind, dann sehe ich nur, dass jeder versucht, seine eigene Gruppe zu retten. Die Armee arbeitet für sich, die Polizei arbeitet für sich, und ich sehe keine gewachsene demokratische Bewegung, die tatsächlich das Ruder übernehmen und das Land in Richtung Demokratie führen könnte. Ich fürchte, dass diese Destabilisierung uns noch ein paar Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, beschäftigen wird, weil kein Mensch ein Rezept hat. Das, was getan werden sollte, wurde so oft und so lange nach hinten geschoben, dass man erst jetzt sieht, wie viel Müll da eigentlich liegt. Und es ist viel einfacher, den Müll zuzudecken als anzufangen, ihn wegzuschaufeln.

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