„Wir sind nicht für Asyl zuständig“

FRONTEX Die EU gibt ihrer EU-Grenzschutzagentur mehr Befugnisse. Vizedirektor Gil Arias-Fernández erklärt, was er damit tun wird – und wie seine Behörde auf den Tod syrischer Flüchtlinge in der Ägäis reagiert hat

■ 58, Stellvertretender Direktor der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Seine Karriere begann er bei der spanischen Polizei, er stieg in die Führung der Abteilung auf, die Menschenschmuggel bekämpft und war später an den Verhandlungen zum Schengener Abkommen beteiligt.

INTERVIEW CHRISTIAN JAKOB

taz: Herr Arias, stellen wir uns vor, ich bin ein junger Syrer, der dem Krieg entkommen will. Ich könnte in Europa Asyl erhalten. Wie komme ich hier rein?

Gil Arias: Vorweg: Frontex ist nicht für Asyl zuständig. Es ist wahrscheinlich, das Asylsuchende ohne Papiere als irreguläre Migranten kommen. Dann gibt es zwei Dinge, die wir tun: das sogenannte Screening, bei dem wir die Identität und Herkunft der Migranten festzustellen versuchen. Und das – freiwillige – De-Briefing. Dabei befragen wir die Migranten über ihre Migrationsroute. Das dient der Bekämpfung von Schleppern. Wer Asyl beantragt, den leiten wir an die zuständigen Behörden weiter.

Syrische Flüchtlinge, die versucht haben nach Griechenland zu kommen, berichten, dass die griechische Küstenwache sie gestoppt und in die Türkei zurückgeschleppt habe. Dabei seien sie teils misshandelt worden. Was wissen Sie darüber?

Wir haben solche Berichte bekommen, auch aus den De-Briefing-Interviews, die wir mit den Migranten machen. Dabei wurde klar, dass keine Grenzschützer aus anderen EU-Staaten, die für Frontex nach Griechenland entsandt wurden, an solchen Aktionen beteiligt waren. Wir haben die griechischen Behörden um Aufklärung gebeten.

Und was haben die gesagt?

In einigen Fällen konnten sie die Vorwürfe nicht bestätigen, in anderen läuft die Untersuchung.

Am 25. Januar ertranken nahe der griechischen Insel Farmakonisi 12 Menschen aus Syrien und Afghanistan. Die Überlebenden dieses Unglücks berichten, ihr Boot sei gekentert, als die griechische Küstenwache sie in Richtung Türkei zurückgeschleppt habe. Haben Sie Informationen darüber?

Es laufen Untersuchungen der griechischen Behörden, die warten wir ab. Bislang wissen wir nur, dass keine Frontex-Beamten aus anderen EU-Staaten an diesem tragischen Vorfall beteiligt waren.

Haben Frontex-Mitarbeiter mit den Überlebenden gesprochen?

Nein. Das war keine Operation von uns. Das ist deshalb außerhalb unserer Möglichkeiten.

In der Region betreibt Frontex die „Poseidon“-Mission, mit der es Griechenland bei der Grenzsicherung unterstützt. Müssten Sie die nicht unterbrechen, bis feststeht, dass Griechenland keine solchen illegalen Zurückschleppungen mehr betreibt?

Wenn es schwerwiegende Grundrechtsverletzungen gäbe, könnten wir unsere gemeinsame Operationen mit Griechenland stoppen. Aber wir haben keine Hinweise, dass Grundrechtsverletzungen oder die Tragödie von Farmakonisi im Rahmen unserer gemeinsamer Operationen geschehen sind.

Jetzt verabschiedet die EU neue Regeln für die Sicherung der Seegrenzen. Dann können Sie Flüchtlinge schon auf Hoher See aufhalten. Nehmen wir an, Ihre Leute stoppen auf dem Mittelmeer ein Boot mit 50 Menschen aus Tschad, Westsahara und Eritrea. Was geschieht?

Wenn wir das Boot künftig innerhalb von Hoheitsgewässern stoppen, ist das jeweilige Land verantwortlich. Wenn wir das Boot in internationalen Gewässern anhalten, dann werden die Menschen in das Land zurückgebracht, in dem sie vermutlich losgefahren sind. Es muss aber immer geprüft werden, ob die Schutzbedürftigen in diesen Ländern sicher sind, ob ihre Grundrechte respektiert werden.

■ Frontex heute: Die Agentur Frontex mit Sitz in Warschau ist für den Schutz der EU-Außengrenzen zuständig. In der Praxis bedeutet das vor allem, illegale Einwanderung zu verhindern. Zu diesem Zweck dirigiert Frontex nationale Einsatzkräfte vor allem bei der Küstenüberwachung im Mittelmeer.

■ Frontex morgen: Am 16. April stimmt das EU-Parlament endgültig über die neue Verordnung zur Sicherung der Seegrenzen der EU ab. Danach darf Frontex auch auf hoher See, außerhalb der europäischen Gewässer, Flüchtlingsboote aufhalten.

■ EU-Afrika-Gipfel: Am 2. und 3. April kommen europäische und afrikanische Staatschefs in Brüssel zum EU-Afrika-Gipfel zusammen. Diese Gipfeltreffen finden etwa alle drei Jahre statt, zuletzt Ende 2010 in Libyen. Der diesjährige Gipfel steht unter dem Motto „Investitionen in Menschen, Wohlstand und Frieden“. Ein Thema sind gemeinsame Militärinterventionen in Krisenstaaten wie Mali und Zentralafrika. Afrika wird Europa jedoch auch vorwerfen, Migration zu erschweren und Homosexualität zu fördern.

Die Herkunft der Menschen spielt also keine Rolle, es geht nur noch darum, wo sie losgefahren sind?

Ja. Es geht allein um das Land, in dem sie losgefahren sind. Uns interessiert, ob sie da sicher sind.

Auch wenn sie aus einem Kriegsgebiet kommen?

Wenn das Land, in dem sie losgefahren sind, sicher ist, können sie auch dort Asyl bekommen. Das ist aber eine theoretische Situation. In unserer Praxis bringen wir alle nach Europa.

Die Gesetze ändern sich aber gerade. Die Frage ist deshalb, was Sie in Zukunft tun – etwa mit Flüchtlingen, die über Libyen kommen. Dort gibt es kein Asylsystem.

Lassen Sie uns darüber sprechen, was wir jetzt tun, und nicht über die Zukunft spekulieren. Sie fragen, wie wir ein Gesetz umsetzen, das es noch gar nicht gibt. Wir wissen nicht, wann die Verordnung kommt, und wir wissen nicht, ob Libyen dann sicher ist.

Die neue Verordnung verpflichtet Frontex-Missionen, Hilfe in Seenot zu leisten.

Das internationale Seerecht verpflichtet jeden, auch Frontex, Menschen in Not zu retten. Das ist nicht neu.

Es gab aber sehr unterschiedliche Meinungen darüber, wann Seenot beginnt. Jetzt jedenfalls ist die Pflicht zur Seenotrettung für Frontex auch Teil des EU-Rechts. Das ist neu. Frankreich, Italien, Griechenland, Spanien, Zypern und Malta haben aber in den Gesetzgebungsprozess eingegriffen. Sie wollten verhindern, dass Frontex diese Pflicht auferlegt wird. Warum?

Keine Ahnung. Das müssen Sie diese Länder fragen.

Die Lage an den EU-Außengrenzen ist Thema auf dem taz-Lab im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Auf dem Podium „Kehrt um, zurück nach Afrika“ diskutieren:

■ Marion Bayer, Gründerin der Initiative Welcome2Europe

■ Madjiguène Cissé, „Sans Papier“-Gründerin aus Frankreich,

■ Michael Flynn, Internierungsforscher an der Uni Genf,

■ Laura Maikowski, Aktivistin des Projekts „Watch the Med“ („Augen aufs Mittelmeer“)

Was halten Sie von dieser Erklärung: Die Länder wollten, dass für Flüchtlinge das Risiko, nicht aus Seenot gerettet zu werden, hoch bleibt. Diese Gefahr soll sie abschrecken.

Alles, was ich dazu sagen könnte, wäre reine Spekulation, und ich werde über die Motive dieser Länder nicht spekulieren.

In Libyen trainiert die EU Grenzschützer (siehe unten). Deutschland ist an dieser Mission beteiligt, auch Frontex soll helfen.

Frontex soll den Auswärtigen Dienst der EU dabei unterstützen, libysche Grenzschützer zu trainieren. Unser Einsatz hat wegen der Sicherheitslage aber noch nicht begonnen.

In der Praxis würden sie dort Milizionäre ohne demokratische Legitimation ausbilden. Es gibt Berichte über schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dieser Milizen an Migranten. Sind das Partner für Sie?

Wir haben Informationen über solche Praktiken aus der Gaddafi-Ära. Was die Zeit nach der Machtübernahme der Opposition angeht, haben wir keine solchen Erkenntnisse. Wenn wir Belege dafür hätten, dass es wiederholte, schwerwiegende Grundrechtsverletzungen in Libyen gibt, müssten wir unsere Beteiligung überdenken. Die EU-Kommission hat da mehr Einblick als wir. Wir verlassen uns darauf, ein angemessenes Bild vermittelt zu bekommen.