Rücktritt ohne Vorwarnung

NSA Eklat um Snowden-Ladung: Keine Woche nach dem Start wirft der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zur Geheimdienstaffäre hin und erhebt heftige Vorwürfe

Binninger hätte Snowden einladen müssen. Das entsprach nicht seiner Überzeugung

AUS BERLIN ASTRID GEISLER

Der CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger ist nicht als unkontrollierter Temperamentsbolzen bekannt. Ein bedachter Mann, der das wohltemperierte Wort pflegt, lieber mal zu wenig als zu viel sagt – und sich durch seine Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss auch Ansehen über die Parteigrenzen hinweg erwarb. Umso mehr überraschte sein Schritt, noch vor der zweiten Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag den Ausschussvorsitz hinzuwerfen, den er doch gerade erst übernommen hatte.

In einer „Persönlichen Erklärung“ erhob Binninger am Mittwoch schwere Vorwürfe gegen Grüne und Linke im Bundestag. Er selbst habe das Gremium so überparteilich und konsensorientiert gestalten wollen wie den NSU-Untersuchungsausschuss. Doch der Opposition sei es von Anfang an „ausschließlich“ um die Vernehmung des Whistleblowers Edward Snowden gegangen. So sei eine „sachdienliche Zusammenarbeit aller Fraktionen“ nicht möglich. Außerdem habe ihm wegen dieser „einseitigen Fixierung“ der Opposition ein Aufgabenkonflikt mit seinem Posten als Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste gedroht.

Grüne und Linksfraktion hatten vergangene Woche den Antrag „A1“ zur „Vernehmung von Edward J. Snowden als Zeugen“ eingebracht und angekündigt, diesen Antrag wenn möglich schon in der zweiten Sitzung am heutigen Donnerstag zu beschließen – notfalls auch ohne die Stimmen der Vertreter von Union und SPD. Schließlich, argumentierte der Grünen-Obmann Konstantin von Notz, werde bis zur tatsächlichen Ladung Snowdens ohnehin Zeit vergehen. Nach einem solchen Beschluss wäre der Ausschussvorsitzende Binninger verpflichtet gewesen, diesen Beweisantrag voranzutreiben. Nach seinem Rücktritt am Mittwoch versicherte er, eben damit „hätte ich mich schwergetan, weil es nicht meiner Überzeugung entspricht“. Im Gegenteil halte er es für „grundfalsch“, diese „Zeugenpersonalie so in den Mittelpunkt des Untersuchungsausschusses zu stellen“. Binninger räumte ein, die Kompromissbereitschaft der Opposition überschätzt zu haben: „Diesen Vorwurf kann man mir machen.“

Für ihn wird nun der weit unerfahrenere CDU-Politiker Patrick Sensburg den Ausschussvorsitz übernehmen. Die Funktion als Obmann der Union übernimmt der bisher kaum bekannte Roderich Kiesewetter.

Die SPD bedauerte den überraschenden Rücktritt. SPD-Obmann Christian Flisek appellierte an die Opposition, an einem Strang zu ziehen: „Nur wenn wir nach außen als eine Einheit wahrgenommen werden, haben wir die Chance, etwas zu erreichen.“ Er zeigte sich grundsätzlich für eine Snowden-Befragung offen, kündigte aber an, den Antrag mit der Stimmenmehrheit im Ausschuss bis auf Weiteres zu vertagen. Zunächst solle eine verbindliche Stellungnahme der Bundesregierung zu den rechtlichen Umständen und Problemen einer solchen Snowden-Ladung eingeholt werden.

Die Linken-Obfrau Martina Renner reagierte überrascht. Der Grünen-Obmann, Konstantin von Notz, nannte Binningers Begründung „schlicht unschlüssig“. Er mutmaßte ebenso wie sein Mitstreiter Hans-Christian Ströbele, dass „massiver Druck“ aus der Unionsfraktionsspitze und dem Kanzleramt der eigentliche Auslöser für den Rückzug seien.

Die Vertreter von Union und SPD im NSA-Ausschuss wiesen den Vorwurf der Einflussnahme aus dem Kanzleramt vehement zurück. „Es gab von niemandem Druck“, sagte Binninger der Welt. „Ich habe diese Entscheidung definitiv alleine getroffen.“

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