Trauer in der besetzten Schule

FLÜCHTLINGE Bewohner und Unterstützer erinnern an den 29-jährigen Marokkaner, der am Freitag erstochen wurde. Was mit der Schule passieren soll, ist weiterhin offen

„Seine Mutter weiß noch nicht einmal, dass er tot ist“

EIN FREUND DES GETÖTETEN FLÜCHTLINGS

VON MARKUS MAYR
UND ALKE WIERTH

Vor einer Wand liegen Blumen auf dem Fußboden oder stehen in zu Vasen umfunktionierten Plastikflaschen. Rechts und links davon führen Türöffnungen zu Waschräumen, die diesen Namen kaum noch verdienen, so marode sind sie. Im linken befindet sich die einzige funktionstüchtige Dusche der Gerhart-Hauptmann-Schule. Über ihre Benutzung hatte sich am Freitag der verhängnisvolle Streit in dem von Flüchtlingen bewohnten Gebäude entzündet, bei dem der 29-jährige Anwar aus Marokko von einem 40-jährigen Mann aus Gambia erstochen wurde. Beide waren Bewohner der seit eineinhalb Jahren besetzten Schule in Kreuzberg.

„Es ist ein Mensch gestorben. Darum geht es heute, nicht um Politik“, sagt Dirk Stegemann, Unterstützer der Flüchtlinge. Das von Politikern nach der Tat geäußerte Bedauern findet er heuchlerisch: „Es mangelte ihrerseits an echten Angeboten an die Bewohner der Schule, deren Lebensumstände zu verbessern.“ Das habe letzten Endes dazu geführt, dass eine Auseinandersetzung aus scheinbar nichtigem Anlass zu einem Toten führte.

Ein anderer Unterstützer der Flüchtlinge sieht den Todesfall als Konsequenz der deutschen Asylpolitik: Bereits traumatisierte Menschen würden durch die Behandlung hier weiter traumatisiert. Er und einige Nachbarn ließen die Flüchtlinge in ihren Wohnungen duschen, erzählt der Mann. Seinen Namen möchte er nicht nennen, denn es gebe viele Leute, die sich über die Unterstützer beschwerten, weil sie angeblich die Verhandlungen zwischen Senat und Flüchtlingen behinderten.

Draußen auf dem Schulhof scheint die Sonne, leise ist arabische Musik zu hören. Die Freunde des Toten stehen sichtlich mitgenommen in kleinen Grüppchen herum. Lecheheb Mokhtar, ein junger Algerier, kannte den Toten seit anderthalb Jahren. Mokhtar lebt seit 14 Jahren in Deutschland, in der Stadt Brandenburg. Regelmäßig besuchte er Anwar in der besetzten Schule. „Ich werde Anwar begleiten, bis seine Mutter ihn wiederhat. Die weiß noch nicht einmal, dass er tot ist“, sagt Mokhtar, der den verstorbenen Marokkaner seinen „Bruder“ nennt.

Mohammed Lahrima von der marokkanischen Gemeinde in Kreuzberg sagt, dass die Gemeinde mithelfen wolle, die Eltern des Toten zu finden und den Leichnam in seine Heimatstadt Fès zu überführen. Die Freunde des Toten wünschen sich für Anwar eine Bestattung, die eines Menschen würdig ist.

Wie es mit ihnen selbst weitergehen wird, bleibt für die SchulbewohnerInnen auch drei Tage nach dem Tod des 29-Jährigen unklar. Über ein Treffen am Sonntagabend, bei dem Bezirkspolitiker über mögliche Verbesserungen der Lebensbedingungen der Flüchtlinge in der Schule sprechen wollten, wurde Stillschweigen vereinbart. Die Ergebnisse sollten zunächst den Bewohnern, erst danach der Öffentlichkeit mitgeteilt werden, so ein Bezirkssprecher. Dass die Ursache des tödlichen Streits letztlich im Versagen des Bezirks gelegen habe, bessere Wohnverhältnisse in der Schule herzustellen, weist der Bezirkssprecher zurück: Es seien „für mehrere hunderttausend Euro“ Umbaumaßnahmen durchgeführt und andere Wünsche der BewohnerInnen umgesetzt worden. Zudem sei die Schule, die von Flüchtlingen aus dem Camp am Oranienplatz im Dezember 2012 besetzt wurde, immer als provisorische Unterkunft gedacht gewesen und nicht als Dauerlösung.

Unklar bleibt weiterhin auch, wann es zu einem Umzug der Flüchtlinge aus der Schule in eine andere Unterkunft kommen kann. Viele der Schulbesetzer hatten zunächst verweigert, einer Vereinbarung mit dem Senat zuzustimmen, die unter anderem einen solche Umsetzung bei Aufgabe der besetzten Schule enthält.

Die Bereitschaft dazu sei auf Seiten der Flüchtlinge nach dem tödlichen Streit zwar gestiegen, hatte die Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) der taz am Sonntag gesagt. Laut der Senatsverwaltung für Integration ist aber bislang kein optimales Verfahren zu einer vorhergehenden Registrierung der BewohnerInnen der Schule gefunden worden.