Migration: Trauma in der Diaspora

Eine „Flucht-Konferenz“ der Linken diskutiert die Situation von Flüchlingen am Beispiel Bremer Yeziden, zu denen auch der Linken-Abgeordnete Cindi Tuncel gehört.

Kinder geflüchteter Yeziden-Familien stehen oft unter besonders großem Druck. Bild: dpa

Vor Krieg, Terror und Hunger fliehen jährlich Tausende in die Bundesrepublik. Viele von ihnen sind traumatisiert und können die hohen Anforderungen der Integration kaum bewältigen. Was das für Fluchtländer und Diaspora-Communities gleichermaßen bedeutet, hat die Linksfraktion am Samstag auf ihrer Konferenz „Flucht, Trauma, Migrationspolitik“ im Haus der Bürgerschaft mit Fachleuten und Betroffenen diskutiert.

Doch anstatt die bekannten Defizite bei Unterbringung oder Bildung anzuprangern, hat die Linke die Probleme am konkreten Beispiel der yezidischen Gemeinschaft erarbeitet, einer kurdischen Minderheitenreligion, der 3.000 BremerInnen angehören.

Einer von ihnen ist Cindi Tuncel, Bürgerschaftsabgeordneter und migrationspolitischer Sprecher der Linken. Er erzählte seine Familiengeschichte: Zehn Jahre hat es gedauert, bis der Asylantrag seiner in der Türkei verfolgten Eltern anerkannt wurde. Zeit, die ihnen „gestohlen“ worden sei, wie er sagt, und in der sie über acht Stationen quer durch die Bundesrepublik ziehen mussten. Ihr Heimatdorf sei gerade erst ans Stromnetz angeschlossen worden und die Flucht nach Deutschland habe sie „aus dem Mittelalter in die Neuzeit gebeamt“.

Sind Yeziden erst einmal in Bremen angekommen, lassen sie damit weit Schlimmeres als die Armut zurück: In ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet in Syrien, dem Nordirak und dem Süden der Türkei kommt es immer wieder zu Gewalt. Jan Ilhan Kizilhan, Professor für Soziale Arbeit mit psychisch Kranken an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, forscht zur Geschichte der Yeziden und Traumatisierungen. „Das ist Genozid“, sagte er und berichtete von Al-Qaida-Bombenanschlägen im Irak und grausamen Bildern, unter denen die Flüchtenden bis heute leiden: Täglich würden yezidische Zivilisten von Islamisten enthauptet.

Yeziden sind keine Moslems. Die Ursprünge ihres monotheistischen Glaubens lassen sich bis 2000 v. Chr. zurückverfolgen und verweisen auf Jahrhunderte der Verfolgung. Kizilhan beschrieb, wie sich die Verletzungen über Generationen hinweg verfestigen: Die Angst, ihren traumatisierten Eltern zur Last zu fallen, hemme die Entwicklung der Kinder und werde Teil der kollektiven Erinnerung.

Gerade jetzt, wo Yeziden sehr unterschiedlicher Herkunft und Generation in der Diaspora aufeinandertreffen, stünden die Familien extrem unter Druck. Oft bestimmten die Väter das Leben ihrer Frauen und Kinder. Auch „Ehrenmorde“ kämen vereinzelt vor, so Kizilhan. Das sei allerdings keine Frage der Religion, sondern der patriachalen Strukturen in den Communities. Eine tiefsitzende Angst vor dem Verlust der kulturellen Identität behindere die Modernisierung: „Die Diaspora macht Migranten konservativ“, sagte Kizilhan, und das betreffe nicht nur die Psyche der Täter: Bei Mädchen, die nach demVerlassen ihrer Familien therapiert werden, sei die Suizidrate vier mal höher als bei anderen Depressionserkrankungen.

Ausweglos ist die Lage aber nicht. Inzwischen hat sich eine unabhängige junge Generation entwickelt, zu der auch Tuncel gehört. Ob Integration gelingt, ist für den Linken zunächst eine soziale Frage und mit den örtlichen Begebenheiten verzahnt. Seine Familie sei in Bremen willkommen gewesen und habe in der Nachbarschaft wertvolle Hilfe bekommen.

Überhaupt zeigten sich die KonferenzteilehmerInnen zufrieden mit den Entwicklungen der letzten Jahre. Libuse Cerna, Vorsitzende des Bremer Rats für Integration, berichtete von solidarischen Nachbarn von Flüchtlingsunterkünften und lobte ausdrücklich die Integrationsbemühungen der Bundesagentur für Arbeit.

Das sei ein Anfang, an den es jetzt anzuknüpfen gelte: Einrichtungen wie Refugio, die traumatisierte Flüchtlinge unterstützt, bräuchten Geld. Und die Unterbringung der 1.500 in diesem Jahr erwarteten Flüchtlinge, müsse in Bremen dringend sichergestellt werden.

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