Gesucht: die ganz große Koalition gegen IS

ALLIANZ Noch ist nicht klar, wie die Aufgaben im neuen „Bündnis gegen IS“ verteilt werden

GENF taz | Die Terrororganisation IS verfügt inzwischen im Irak und in Syrien nach unterschiedlichen, nicht überprüfbaren Quellen über 10.000 bis 50.000 Kämpfer. Darunter befinden sich Aufständische gegen Russland aus dem Tschetschenienkrieg ebenso wie Männer, die früher gegen die US-Besatzung im Irak gekämpft haben – darunter zahlreiche hochrangige Offiziere aus den irakischen Regierungsstreitkräften mit konventioneller Kriegserfahrung aus allen drei Golfkriegen sowie aus dem Besatzungskrieg gegen Kuwait.

Zur Teilnahme an dem von der Obama-Administration initiierten „Bündnis gegen IS“ haben sich bislang zehn Staaten bereiterklärt: Neben den USA sind das die acht Nato-Mitglieder Kanada, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Dänemark, Polen und die Türkei und zudem Australien. Bei einem Treffen von Regierungsmitgliedern dieser zehn Staaten beim Nato-Gipfel in Wales Ende letzter Woche wurden noch keine konkreten Vereinbarungen getroffen. Allerdings schlossen alle Teilnehmer eine Stationierung von Bodentruppen aus. Einzig die USA ließen die Option offen, auch Spezialkommandos für Bodeneinsätze einzusetzen. Großbritannien will sich an Luftangriffen beteiligen, falls die künftige Regierung in Bagdad darum ersucht.

Deutschland möchte seine Aktivitäten im „Bündnis gegen IS“ auf Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga und auf humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung begrenzen. Die Mehrheit der zehn Bündnismitglieder will militärische Maßnahmen gegen die IS-Milizen auf den Irak begrenzen, während in Washington auch Angriffe gegen IS-Milizen in Syrien erwogen und in London,Paris und Ottawa zumindest nicht ausgeschlossen werden.

Vom Nato-Mitglied Türkei möchte Washington die Genehmigung zur Nutzung der dortigen US-Militärbasen für Luftangriffe gegen die IS-Milizen erhalten. Zudem soll die Türkei ihre Funktion als wichtiges logistisches Hinterland für die IS-Milizen endlich beenden. Nach wie vor können sich die Terrormilizen weitgehend ungehindert über die Grenzen Iraks und Syrien in der Türkei bewegen und das Land für ihre Ölverkäufe sowie für den Nachschub an Waffen und neuen Kämpfern nutzen.

Ähnliche Widersprüche bestehen bei Saudi-Arabien, Katar und den anderen Golfemiraten, die Washington ebenfalls für das „Bündnis gegen IS“ gewinnen möchte. Der „Islamische Staat“ und seine Vorläuferorganisationen im Irak und in Syrien wurden zu Beginn des Bürgerkrieges in Syrien zunächst aus Saudi-Arabien und Katar finanziert. Es gibt zahlreiche Indizien, wonach die IS-Milizen zumindest aus „privaten“ wahhabitischen Quellen in beiden Ländern weiterhin Geld erhält.

Nach Vorstellung der Obama-Administration sollen Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten ihre „guten Beziehungen“ zu den sunnitischen Stämmen im Irak nutzen und diese zur Beendigung jeglicher Kooperation mit IS drängen.

Fast alle bislang für das „Bündnis gegen IS“ diskutierten Maßnahmen wurden bereits in dem seit dem 11. September 2011 währenden „Krieg gegen den Terror“ ergriffen – in Afghanistan, Pakistan, Jemen, Somalia, Mali und anderswo. Zwar wurden in diesen Kriegen tatsächlich Tausende Kämpfer getötet. Doch für jeden Getöteten wuchsen zehn neue Männer nach. Ohne einen Plan zur Austrocknung des politischen, sozialen und ideologischen Nährbodens, auf dem Millionen junger Muslime im Nahen Osten aufwachsen und Opfer islamistischer Verführer werden, wird auch das „Bündnis gegen IS“ Schwierigkeiten haben, einen nachhaltigen Erfolg zu erzielen. ANDREAS ZUMACH