KOMMENTAR VON JÜRGEN GOTTSCHLICH ZUM ABSEHBAREN FALL DER STADT KOBANI
: Die angekündigte Katastrophe

Mit dem Fall Kobanis droht in der Türkei die Rückkehr des bewaffneten Kampfes

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die von den Terrormilizen des Islamischen Staats belagerte kurdisch-syrische Stadt Kobani bald fallen wird. Ohne Hilfe von außen – und die wird nicht kommen – werden die kurdischen Kämpfer sich gegen den zahlenmäßig und waffentechnisch überlegenen Gegner nur noch wenige Tage halten können.

Das dann drohende Gemetzel ist nicht nur eine Katastrophe für die letzten verbliebenen Verteidiger der Stadt, es wird eine Schockwelle in der gesamten Türkei auslösen und das Nato-Land am Bosporus endgültig in den syrischen Bürgerkrieg hineinziehen.

Die Kurden in der Türkei beobachten mit wachsender Verbitterung, wie die türkische Armee gegenüber Kobani ihren Schwestern und Brüdern nicht nur nicht hilft. Sie müssen im Gegenteil mit ansehen, wie türkisches Militär verhindert, dass bewaffnete Kurden aus der Türkei oder anderen Teilen Syriens über türkisches Territorium zur Verteidigung nach Kobani gelangen können.

Der Aufstand in den mehrheitlich kurdisch bewohnten Städten im Südosten der Türkei in der vergangenen Woche, der über 30 Tote gefordert hat, war nur ein schwacher Vorbote dessen, was geschehen wird, wenn Kobani endgültig in die Hände der Dschihadisten fällt.

Die türkische Regierung hat Abdullah Öcalan, den inhaftierten Führer der kurdischen Arbeiterpartei PKK, noch einmal dazu bewegen können, die Kurden von der Straße zurückzurufen. Das war vergangene Woche, und ein zweites Mal wird das nicht passieren. Öcalan hat angekündigt, dass die türkische Regierung bis Mittwoch positive Schritte unternehmen muss – andernfalls sei der vor zwei Jahren begonnene Friedensprozess vorbei. Blutige Straßenschlachten und die Rückkehr des bewaffneten Kampfes der PKK in der Türkei wären die Folge.

Dabei war Kobani auch eine große Chance. Niemals zuvor gab es für Präsident Erdogan eine so günstige Gelegenheit, sich der Dankbarkeit der Kurden in der Türkei und in Syrien zu versichern. Er hätte nur helfen müssen.

Erdogan hatte es in der Hand, den Grundstein für die Beendigung des seit der Gründung der Republik 1923 andauernden Konflikts mit den Kurden zu legen – stattdessen opfert er für seine Großmachtträume im Nahen Osten den Frieden mit den Kurden und zieht sein Land in den Krieg mit Syrien.