Ein Handy ermöglichte die Rettung

MENSCHENHANDEL Kheiro Bakr gelang, wovon viele Jesiden träumen: Er hat seine vom „Islamischen Staat“ verschleppte Familie zurückgekauft

„Ich habe meine Familie gekauft wie ein Stück Ware. Aber ich bin dankbar, dass es geklappt hat“

DOHUK taz | Dass Kheiro Bakr zusammen mit seiner Familie in einem Garten vor einem kleinen Haus in einem Dorf in der Nähe der nordirakischen Kurdenstadt Dohuk sitzt, grenzt eigentlich an ein Wunder. Im August waren die Frau und die fünf Kinder des Jesiden aus ihrem Dorf in der Nähe der Sindschar-Berge von den Dschihadisten des Islamischen Staats (IS) verschleppt worden. Aber Kheiro ist einer der wenigen, die es geschafft haben, ihre Familie zurückzukaufen.

Er war nicht zu Hause, als die Dschihadisten ins Dorf kamen. Viele Nachbarn waren schon geflüchtet, aber Kheiros Frau und die Kinder waren zurückgeblieben, weil eine der Töchter querschnittsgelähmt ist. „Sie haben meine Familie in eines der benachbarten arabisch-sunnitischen Dörfer gebracht und dort in einem Haus eingesperrt“, erzählt Kheiro. Die Frau und die Kinder durften das Gebäude nicht verlassen. Immer wenn die Kämpfer des IS das Dorf verließen, um zur Front zu fahren, reichten ihnen Dorfbewohner Essen durchs Fenster – aber niemand traute sich, sie aus dem Haus zu holen, aus Angst, von den Dschihadisten als Verräter erschossen zu werden.

Aber selbst einer der bewaffneten IS-Männer hatte einen kurzen Moment Nachsicht. Er musste die Familie durchsuchen, als sie verschleppt wurde. Als er bei der Frau ein Handy fand, gab er es ihr ohne ein Wort zu sagen wieder zurück. Das Mobiltelefon sollte sich als wichtigstes Instrument für die Rettung der Familie erweisen. Zunächst bekam Kheiro einen Anruf von seiner Frau, in dem sie ihm erklärte, dass sie und die Kinder am Leben seien, und ihm beschrieb, wo sich seine Familie befand.

Seitdem stand Kheiro im ständigen Kontakt mit seine Frau. Die arabischen Nachbarn luden das Handy immer wieder heimlich auf. Sie waren es auch, die der Frau die Telefonnummer eines Arabers gaben, der kontaktiert werden solle, um die Familie fortzubringen. Kheiro rief die Nummer an. Der Mann am anderen Ende der Leitung schlug vor, dass er seine Frau und die Kinder von den Dschihadisten kaufen könne. Es war üblich, dass die jesidischen Frauen und ihre Kinder von den Dschihadisten weiterverkauft wurden. Über einen Mittelsmann schickte Kheiro die vereinbarte Summe, über deren genaue Höhe er nicht reden will. Das war die einzige Bedingung für das Gespräch.

„Ich weiß nicht, ob der Mann selber etwas eingesteckt hat“, sagt er. „Aber der das gemacht hat, hat uns zweifellos einen Gefallen getan. Egal wie viel er wollte, wenn ich es nicht gehabt hätte, hätte ich das Geld zusammengebettelt“, fügt er hinzu. Der Mann, dessen Identität Kheiro für dessen eigene Sicherheit nicht offenlegen will, kaufte am Ende tatsächlich den Dschihadisten die Familie ab, steckte die Frau in islamische Kleidung mit einem Vollschleier und fuhr mit ihr einmal quer durch das vom IS kontrollierte Territorium bis vor die Stadtgrenze von Kirkuk, das von kurdischen Peschmerga kontrolliert wird. Ein Teil des Geldes verwendete er darauf den letzten IS-Posten zu bestechen, damit der sie durchließ.

Das war vor vier Wochen. Seitdem haben Kheiro viele andere Männer kontaktiert, um nachzufragen, wie er das geschafft hat, weil sie selbst Frauen und Kinder haben, die auf die andere Seite verschleppt wurden, Richtung Süden, gerade einmal eine halbe Autostunde von Dohuk entfernt.

Während Kheiro die ganze Geschichte erzählt, sitzt seine Frau im Garten und hört aufmerksam zu. Sie sagt kein Wort. Halb angewidert von diesem Deal, aber heilfroh, dass er jetzt wieder im Kreis seiner Familie sitzt, meint Kheiro zum Abschluss: „Ich habe meine Familie gekauft wie ein Stück Ware. Aber ich bin dankbar, dass es geklappt hat.“ Das ist der Moment, an dem seiner schweigenden Frau erstmals ein paar Tränen über die Wangen laufen. KARIM EL-GAWHARY