Einen eigenen Glauben basteln

ZWIESPALT Wie geht man damit um, dass einem die Religion Grenzen auferlegt, die man nicht oder nur sehr schwer akzeptieren kann? Die Initiative Salaam-Schalom lud Christen, Juden und Muslime zu einem intensiven Gedankenaustausch

■ Die Initiative „Salaam-Schalom“ entstand Ende 2013, als Neukölln mehrfach als „No-go-Area für Juden“ bezeichnet wurde, weil dort so viele Muslime leben. Salaam und Schalom bedeuten Frieden auf Arabisch und Hebräisch. Die Initiative möchte sich dafür einsetzen, dass unterschiedliche Religionen nicht nur friedlich nebeneinander existieren können, und zeigen, dass sie auch viele Gemeinsamkeiten haben. Regelmäßig organisiert sie interreligiöse Veranstaltungen, in Synagogen, Kirchen, Moscheen und auch neutralen Räumlichkeiten.

■ Das nächste Mal lädt „Salaam-Schalom“ am 11. November zu einer Diskussion darüber ein, ob Antisemitismus ein migrantisches Problem ist oder nicht. Mehr unter salaamschalom.wordpress.com

VON ANNA BORDEL

Es sind Menschen, die zweifeln, die sich hier im Rollbergkiez zu der Soirée der Initiative Salaam-Schalom treffen. Menschen, die wissen, dass ihre Religion Grenzen hat, die sie nicht so sein lässt, wie sie sind. Die das als beengend empfinden – und trotzdem nicht aufhören wollen zu glauben. Da ist die Theologiestudentin Julia: Sie ist Katholikin und weiß, dass sie im Klerus der katholischen Kirche keinen Platz hat, weil sie eine Frau ist. Da ist der 24-jährige Iddo: Er weiß, dass es im Judentum keine Ehre ist, schwul zu sein; lange musste er mit sich ringen, bis er seinem orthodoxen Großvater sagte, dass er auf Männer steht.

Solche Menschen möchte die Initiative zusammenbringen an diesem Montagabend, um sich gegenseitig Fragen über Religion zu stellen. Armin, der ungarische Rabbinerstudent, der die Veranstaltung in den Räumen des Morus 14 in der Neuköllner Rollbergsiedlung moderiert, erzählt, dass die Initiative vor rund einem Jahr gegründet wurde, nachdem Neukölln mehrmals öffentlich als „No-go-Area für Juden“ bezeichnet wurde, weil dort so viele Muslime leben. „Damals haben wir mehrere muslimische Jugendliche dazu befragt, wie sie sich fühlen, wenn ihnen allen generell Judenhass vorgeworfen wird“, so der Moderator. Daraus sind immer mehr Veranstaltungen entstanden, an denen Anhänger unterschiedlicher Religionen teilnehmen.

Viele der etwas mehr als 30 Teilnehmer an diesem Abend erzählen, zwar getauft zu sein oder jüdisch erzogen. Sie würden sich aber mittlerweile ihre eigene Religion „basteln“, eben weil sie in diesen Grenzen nicht leben können. Und genau um diese Schranken geht es an diesem Abend. Wie geht man damit um? Welche Möglichkeiten hat Julia im Katholizismus, sich zu entfalten? „Austreten“, lautet prompt die Antwort von einigen Männern. Sie sieht das anders: „Austreten wäre auch Weglaufen. Ich könnte protestieren. Oder eben eine eigene Meinung haben und danach handeln. Es gibt mittlerweile Frauen, die die Weihe geben.“

Hadern mit der Institution

Doch sie gibt zu, dass Religion für sie ein ständiges Hadern mit der Institution und der persönlichen Haltung ist. Dennoch habe die Kirche auch etwas Gutes: Sie gebe spirituelle Kraft, leiste humanitäre Hilfe. „Religion bringt Menschen zusammen“, sagt Julia noch, darauf kommt von der gegenüberliegenden Seite des Kreises ein trauriges Lachen einer jungen Syrerin: „Ja, Religion bringt Menschen zusammen, aber das ist nicht immer etwas Gutes.“ Im zustimmenden Gemurmel geht das Wort „Krieg“ unter. Dies ist der einzige Moment, in dem an diesem interreligiösen Abend der Bezug zur aktuellen Krise im Nahen Osten aufflammt.

Offenbar geht es den Teilnehmern um etwas anderes. Darum, was Religion für sie ist, hier und jetzt, ihre religiöse Identität im Alltag. Iddo sagt, dass er zwar nicht an Gott glaubt, aber trotzdem gern Jude ist, weil er dadurch Teil einer Gemeinschaft ist. „Das ist etwas Emotionales. Wenn ich mit meiner Familie, religiöse Feste feiere, dann bin ich zu Hause“, sagt er. Als er seinem Großvater schließlich von seiner Homosexualität erzählte, hatte der Verständnis. Jemand anders sagt, dass Religion etwas Individuelles sein sollte, das nur einen selbst etwas angeht. Etwas, dass innere Ruhe und Kraft gibt, aber eben keine dogmatischen Vorgaben und vor allem keine Maßstäbe dafür, wie andere sich zu verhalten haben.

„Austreten wäre auch Weglaufen. Ich könnte protestieren“

JULIA, KATHOLIKIN

Viele Juden, Christen und Atheisten sind an diesem Abend gekommen, aber nur vereinzelt Muslime, obwohl die Räumlichkeiten des Morus 14 mitten im Rollbergkiez liegen, in dem mehrheitlich Araber, Türken und Marokkaner leben, wie die Leiterin des Gemeinschaftshauses, Marianne Johannsen, bestätigt. Auch sie ist an diesem Abend zu der Diskussion gekommen und sieht es als Problem, dass so wenige aus dem Kiez gekommen sind. „Die Muslime hier leben in ganz festen Clan-Strukturen. Die Familie ist für sie das Wichtigste. Außer in der Schule kommen viele Jugendliche da nicht raus“, sagt sie.

Morus 14 sei ein Verein, der 2003 gegründet wurde, als Reaktion darauf, dass die Rollbergsiedlung in den Neunzigern als hochgradig kriminell galt. Durch unterschiedliche Nachbarschaftsinitiativen habe sich das Klima im Laufe der Jahre verbessert, dennoch seien die Muslime nur schwer für derartige Projekte zu bewegen, so Johannsen.

Viele der Teilnehmer an diesem Abend zweifeln daran, dass es die eine richtige Religion gibt. Der einzige Redebeitrag, der Applaus erhält, ist dann auch ein sehr mutiger. „Konservative sind Ungebildete“, sagt eine junge Frau, die eine doppelreihige Goldkette trägt: „Heutzutage ist Religion etwas, für das man sich schämen muss. Nächstenliebe heißt doch, jemandem zu helfen, weil er ein Mensch ist, der Hilfe braucht. Und tolerant sein heißt doch, zu akzeptieren, selbst wenn jemand jüdisch erzogen wurde und sich nach der Hochzeit entscheidet, seine Haare mit einem Tuch zu bedecken, ihn zu lieben, und nicht über ihn zu urteilen, weil es immer noch der Mensch ist, den man kennengelernt hat.“