Kritiker des Dogmatismus

NACHRUF In Frankreich starb der Philosoph und Islamwissenschaftler Abdelwahab Meddeb

Vor zehn Jahren antwortete der Schriftsteller, Philosoph und Publizist Abdelwahab Meddeb in einem Interview auf die Frage, welche dem Islam innewohnenden Züge diesen für Islamismus und Terrorismus anfällig machten: „Zunächst sind es die Worte des Koran selbst, die eine Veranlagung dafür enthalten. Die krank machenden Keime sind bereits im koranischen Text vorhanden. Wie andere Offenbarungsschriften – zum Beispiel das Alte Testament – ist auch der Koran ein ambivalenter Text.“ Diese Offenheit ist dem 1946 in Tunis geborenen Intellektuellen nicht gut bekommen.

In der arabischen Welt wurde sein Buch „Die Krankheit des Islam“ (2002), das sich mit der Ideologie des Islamismus auseinandersetzte, zum Teil als ketzerisch verteufelt, zum Teil totgeschwiegen. Dabei verteidigte er den Islam auch gegen ungerechtfertigte Angriffe. In seinem Buch „La conférence de Ratisbonne“ (2007) antwortete Meddeb auf die Regensburger Rede des Papstes Joseph Ratzinger, der dem Christentum eine exklusive Nähe zur Vernunft attestierte und die anderen Religionen als vernunftfern denunzierte. Meddeb widersprach dem päpstlichen Dogmatismus und erklärte, die Vielfalt der islamischen Kultur vor allen Verzerrungen und Vereinfachungen retten zu wollen.

Meddeb verließ Tunesien noch als Jugendlicher und studierte in Paris und Marseille. Er wurde Lektor im französischen Verlag Éditions du Seuil und betreute eine Reihe mit moderner Literatur aus Nordafrika. Später übernahm er Gastprofessuren in den USA und der Schweiz, schrieb islamkritische Essays für die Kulturzeitschrift Lettre International sowie Gedichte und Romane, die der Heidelberger Verlag Das Wunderhorn auf Deutsch herausbrachte. Am 6. November ist Meddeb im Alter von 68 Jahren in Paris verstorben.

RUDOLF WALTHER