Fremdheit und Vertrauen

PERFORMANCE Das Poem „Hussein“ über einen Helden und Religionsstifter wird im Ballhaus Ost zur Folie der Gegenwartsreflexion

Eine besondere Erfahrung ist, dass Sarieddeen durchweg Arabisch spricht

Das Performance-Projekt „Hussein“ von Lydia Ziemke im Ballhaus Ost verbindet islamische Heldengesänge mit antiken Dramenfiguren und modernen zerrissenen Individuen. Ein Abend zum Hinsehen, Hinhören und Einfühlen. Ein Abend auch über das Verzweifeln an der Rückkehr zu Nationalismen und rigider Religiosität.

Das Poem „Hussein“ wurde vom libanesischen Autor und Theatermacher Omar Abi Azar bereits vor drei Jahren geschrieben. Es verknüpft in einer ersten Schicht die Gestalt Husseins, einem in Machtkämpfen enthaupteten Enkels des Religionsgründers Mohammed, mit der Figur aktueller islamischer Kämpfer. Paten mochten dafür damals Angehörige der Hisbollah-Miliz gestanden haben – schiitische Kämpfer, die sich auf Hussein als Begründer der Schia berufen. Husseins Tod dient allerdings auch Selbstmordattentätern als Referenz.

Zunächst verbleibt die in mehreren Workshops in Berlin und Beirut entstandene Inszenierung von Lydia Ziemke, die am heutigen Freitag Premiere hat, auch in diesem Bild- und Kulturraum. In ihn hineingesogen wird man bereits auf der Probe durch einen improvisierten Klagegesang der deutsch-tunesischen Künstlerin Houwaida Goulli. Ihre Stimme lässt eine Welt erstehen, in der Rationalität ihre Macht verliert und das intuitive Empfinden überwiegt. In diesen Klängen erhebt sich ein arabischer Kämpfer in Umhang und Schwert. Schnell wird diese Heldenpose aufgelöst in ein zugewandtes Erzählen. Intensive Fragmente von Berichten von Bluttaten, Flucht und vergeblicher Suche tauchen auf. Doch immer wieder distanziert sich der Performer Junaid Sarieddeen, ein Freund und Arbeitskollege des Autors Abi Azar, von diesem Geschehen und wird zum freundlichen Gastgeber, der Whiskygläser reicht. Ein kleiner Hinweis darauf, dass Islam und Alkohol durchaus zu vereinbaren sind.

Sarieddeens Spiel lässt aber auch tief in die Verlorenheit und Leere der Figuren, von denen er erzählt, blicken. Und er vereint schließlich abendländische Figuren und Identitätskonzepte mit der islamischen Kultur. Odysseus und Hamlet schälen sich heraus, Ödipus erfährt eine szenische Umsetzung.

Eine besondere Erfahrung ist, dass Sarieddeen durchweg Arabisch spricht. Man ist dem Klang der Originalsprache des Poems ausgesetzt. Keine eilfertige Parallelübersetzung hilft. Dennoch bricht sich ein Verstehensprozess Bahn – unterstützt wird er von der Erinnerung an die Projektion des Textes im ersten Teil der Aufführung. In einem dritten Teil kommen arabische Sprache und deutsche Übersetzung schließlich zeitgleich zusammen.

„Das ist das Schöne an der in Deutschland ja ganz stark entwickelten Postdramatik, dass man das eine vom anderen trennen kann, den Text vom Klang, das Hören vom Sehen“, meint Sarieddeen nach der Probe. Die Fremdheit, die man bei der Rezitation auf Arabisch aushalten muss, geht dank Sarieddeens Souveränität als Performer sehr schnell in Vertrauen, Vertrautheit gar, über. Das ist die eine Erfahrung dieses Abends.

Für ihre Beiruter Freunde und Kollegen wurde Ziemke zufolge das Poem durch den Krieg in Syrien mit einer neuen Aufladung versehen. Flüchtlingswellen aus dem Nachbarland verändern die Gesellschaft. Das löst Furcht aus, wie Sarieddeen berichtet: „In vielen libanesischen Städten sind Banner aufgetaucht, die Syrern verbieten, sich ab 20 Uhr auf der Straße aufzuhalten.“ Für die Beiruter Künstlerszene ist der Zustrom aus Syrien aber eine Bereicherung: „Jetzt vermischen sich zwei Schulen, zwei Systeme: die eher postmodern und konzeptionell orientierten libanesischen Künstler mit den klassisch akademisch ausgebildeten Syrern.“

Für Sarieddeen geht das Poem über die aktuelle Situation im Nahen Osten hinaus. „Nach dem Ende der Ideologien nach dem Berliner Mauerfall ist ein Vakuum entstanden. Menschen orientieren sich zurück in Religionen und Nationalismen“, wagt er eine globale Diagnose. So wird „Hussein“ ein Gesang über die dunklen Kräfte in unser aller Welt. TOM MUSTROPH

■ 21. bis 23. November, 20 Uhr, im Ballhaus Ost