Flüchtlingsrat über Kirchenasyl: „Der Bund ist nicht zynisch“

Der Innenminister will die Kritik der Kirchen am europäischen Verteilungssystem entkräften, sagt Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats.

Kirchenasyl in Thüringen: Schön heimelig mit Weihnachtsschmuck. Bild: dpa

taz: Herr Weber, warum kritisiert Innenminister de Maizière das Kirchenasyl jetzt? Was gewinnt er damit?

Kai Weber: Das Dublin-Verfahren ist nicht so erfolgreich, wie sich das Innenministerium und auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) das gedacht haben. Die Idee war ja, dass die Flüchtlinge in den Ländern Asyl beantragen müssen, in denen sie das erste Mal per Fingerabdruck registriert werden. Reisen sie trotzdem in andere Länder weiter, wie etwa Deutschland, können sie mit dem Verweis auf die Dublin-Vereinbarung in die Erstländer abgeschoben werden.

Warum ist dieses Verteilungssystem gescheitert?

Sehen Sie sich die Zahlen für 2014 an. In Deutschland wurden von rund 27.000 Dublin-Bescheiden nur etwa 4.800 Fälle in die Erstländer abgeschoben. Der Rest wurde in die Illegalität abgedrängt und stellt vielleicht erneut einen Antrag in anderen europäischen Drittstaaten. Unterm Strich wird ein riesiger Aufwand betrieben mit einem nur geringen Effekt. Denn angesichts der Menschenrechtsverletzungen etwa in Ungarn, Bulgarien, Griechenland oder Italien ist eine Verteilung von Flüchtlingen dorthin nicht möglich. Die Menschen werden alles tun, um nicht nach Bulgarien zurückzugehen, wo sie inhaftiert und misshandelt wurden.

Wie hängen Dublin-Verfahren und Kirchenasyl zusammen?

Man sucht sich einen Sündenbock und behauptet, die Kirchen trügen eine Mitschuld am Scheitern von Dublin. Das Innenministerium wirft den Kirchen vor, sie übten eine Systemkritik und gewährten Kirchenasyl in Fällen, in denen gar keine Lebensgefahr für die Schutzsuchenden bestände. Die Kirchen haben das strikt zurückgewiesen und auf die existenzielle Unsicherheit für Asylsuchende etwa in Italien oder auf die systematischen Inhaftierung in Bulgarien oder Ungarn hingewiesen. Sie wissen genau, dass Kirchenasyl nur eine Hilfe für den Einzelfall ist und man mit ihm nicht das System Dublin überwinden kann.

Wie viele Menschen sind derzeit im Kirchenasyl?

Bundesweit etwa 300, genaue Zahlen existieren nicht. Kirchen ziehen es heute vor, „stilles“ Asyl zu gewähren. In den 90er Jahren wurde noch gezielt die Öffentlichkeit gesucht.

ist Geschäftsführer und Projektkoordinator des Flüchtlingsrats Niedersachsen. Er geht davon aus, dass die Regierung trotz aller Kritik am Dublin-Verfahren festhalten wird.

Gibt es eine Friktion zwischen Kirchenbasis und der Führungsebene?

Bislang noch nicht. Aber dazu kann es natürlich noch kommen. Das BAMF bemüht sich darum, die Kirchenführung für sich zu gewinnen. Der Präsident, Manfred Schmidt, hat am letzten Freitag bei den Duderstädter Gesprächen ein entsprechendes Spitzengespräch für den 24. 2. 2015 angekündigt. Man möchte gemeinsame Gremien schaffen, um Einzelfälle hinter verschlossenen Türen verhandeln zu können. Auf diese Weise versucht das BAMF, die Kritik der Kirchen an Dublin zu entkräften.

Unterscheidet sich die katholische von der protestantischen Kirche in dieser Frage? Bislang schlug die katholische Leitung versöhnlichere Töne an.

Das kann man nicht verallgemeinern. Gerade in Niedersachsen gibt es katholische Gemeinden, die sich vehement für die Interessen ihrer Schutzbefohlenen einsetzen. Insgesamt ist es innerhalb der Kirchen umstritten, wie man mit den Avancen des BAMF umgehen soll. Traditionell aber gewährt die katholische Kirche seltener Kirchenasyl.

Werden die Kirchen einknicken?

Schwer zu sagen. Einerseits setzt man sie unter erhöhten Druck, andererseits kommt das BAMF ihnen auch entgegen. So hat das BAMF entschieden, in 800 Altfällen von seinem „Selbsteintrittsrecht“ Gebrauch zu machen. Das BAMF versucht seit jeher, das System Dublin zu erhalten, aber im Einzelfall Zugeständnisse zu machen.

Warum sagen Sie, dass Dublin gescheitert sei? Wenn man so drei Viertel der Asylsuchenden in die Illegalität abdrängen kann, also nicht mehr für sie zuständig ist, ist das aus Behördensicht doch ein Erfolg.

Der früheren niedersächsischen Regierung hätte ich einen solchen Zynismus vielleicht unterstellt, für den Bund gilt das nicht. Der betreibt eine ernsthafte Resettlementpolitik. Ich denke nicht, dass das oberste Ziel des Bundes ist, Flüchtlinge loszuwerden.

De Maizière sendet doch bislang stets die Botschaft aus: Kommt gar nicht erst hierher …

Das gilt nur für die Balkanflüchtlinge. Bei Menschen aus Syrien oder Eritrea bemüht man sich dagegen auch rhetorisch darum, zu vermitteln, dass diese Menschen gute Gründe für ihre Flucht haben. Die Regierung hat das Potenzial dieser Gruppe, immerhin ist die absolute Mehrheit unter 25 Jahre alt, durchaus erkannt und versucht sie mit Arbeitsprogrammen und Sprachkursen zu fördern. Sie will Flucht nicht verhindern, sondern eine bessere Kontrolle über die Zusammensetzung der Flüchtlinge haben. Das ist natürlich im Kontext des Fachkräftemangels zu sehen. Anders als in den 90er Jahren hat man verstanden, dass Deutschland etwa 400.000 Einwanderer pro Jahr braucht, um der Überalterung entgegenzuwirken.

Finden Sie das richtig?

Natürlich nicht. Wir verstehen Asyl als ein Grundrecht, das nicht aufgrund von ökonomischen Erwägungen eingeschränkt werden darf. Deshalb schlagen wir vor, Dublin abzuschaffen. Gemessen an der Einwanderung insgesamt sind die Flüchtlinge ohnehin eine nur kleine Gruppe. 2013 hatten wir 1,2 Millionen Einwanderer und 126.000 Asylsuchende. Etwa 800.000 Menschen haben Deutschland verlassen. 180.000 Migranten kamen aus Polen, ohne dass das so recht bemerkt wurde. Es spricht also überhaupt nichts dagegen, dass Flüchtlinge dorthin gehen, wo sie Verwandte haben und wo sie hinwollen. Man kann einen europäischen Ausgleich durchaus auch finanziell organisieren.

Die AfD als einwanderungs- und flüchtlingsfeindliche Partei ist nun auch ins Hamburger Parlament eingezogen. Was bedeutet ihr Aufstieg für Ihre Arbeit?

Nicht viel. Gerade in Niedersachsen stellen wir eine deutliche Verbesserung der Stimmung gegenüber Flüchtlingen und Migration fest. Auch die Flüchtlingspolitik des Landes ist deutlich menschenfreundlicher geworden. Aber es ist bekannt, dass 10 bis 15 Prozent der Deutschen ein explizit rassistisches Weltbild haben. Das muss uns Sorgen machen.

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