FLOHMARKTBESUCH
: Der Hetzer

Sie seien ja keine Nazis. Aber wenn die Ausländer hierher kämen

Auf einem Flohmarkt in Zehlendorf ergattere ich ein paar kleine Schnäppchen, und als Dreingabe schenkt mir der Verkäufer noch eine alte Videokassette. „Der Club der toten Dichter“. Drei Stände weiter schimpft ein Typ dermaßen doof über Ausländer und dass die alle nur (O-Ton) Big Business machen wollen. Es ist nicht zum Aushalten.

Ich gehe hin und gebe, zusammen mit einer jungen Frau vom Nebenstand, dem Big-Business-Gelaber Contra. Und halte dabei die alte Robin-Williams-Videokassette in meiner Hand. Während wir dem Hetzer die Stirn bieten, stehe ich gefühlsmäßig irgendwo in einem Klassenzimmer auf einem Stuhl. Dann kommen noch drei Leute dazu, nehmen sich auch einen der unsichtbaren Stühle, weil sie wollen, dass der Kerl endlich aufhört.

Auch wenn sich einiges getan hat seit Hoyerswerda – die Engherzigen stellen sich immer wieder hin und grölen: Sie seien ja keine Nazis, aber wenn die Ausländer hierher kämen und alles bekämen, während sie selbst hungern würden (in ihrer flauschig warmen Jack-Wolfskin-Survival-Jacke) – das sei doch, also das sei doch. Allerhand, sei das.

Willkommen in Deutschland, finde ich, und bin eigentlich immer noch sehr gerne hier zu Hause. Aber manchmal schäme ich mich und könnte einfach nur kotzen. Mauerfall, man erinnert sich, wie toll das war, als die Grenzen endlich offen waren – aber jetzt, jetzt denke ich immerzu an Boote und an Schiffe. An Menschen in hohen Wellen. An Erwachsene und Kinder, Dichter und Denker, Tischler und Bäcker, Fußballfans und Brillenträger, Rechtshänder und Linkshänder, die versuchen, in einem besseren Leben anzukommen.

Keiner, denke ich, will uns etwas wegnehmen. Nicht die Flohmarktsachen, nicht unsere Jack-Wolfskin-Jacken. Alle bringen sie stattdessen etwas mit, über das sich, da bin ich mir sicher, der „Dichter“-Lehrer Mr. Keating sehr gefreut hätte. JOCHEN WEEBER