Keine Kündigung bei Zivilcourage

Nun sollen Arbeitnehmer, die Missstände im Betrieb öffentlich machen, per Gesetz geschützt werden. Das plant die Bundesregierung. Bundesagrarminister Horst Seehofer sieht darin auch eine Möglichkeit, Fleischskandale aufzudecken

VON CHRISTIAN RATH

Die Bundesregierung plant eine Regelung zum Schutz von sogenannten Whistleblowern. Künftig sollen Arbeitnehmer, die ihre Firma bei den Behörden „verpfeifen“, in vielen Fällen ausdrücklich vor Kündigung oder anderen Sanktionen geschützt sein. Eine entsprechende Regelung soll unter der Überschrift „Anzeigerecht“ als neuer Paragraf 612 a ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen werden.

In einem der taz vorliegenden Formulierungsvorschlag ist vorgesehen, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich zuerst seine Vorgesetzten über Missstände im Betrieb informieren muss. An die Behörden könne er sich erst wenden, wenn „der Arbeitgeber dem Verlangen nach Abhilfe nicht oder nicht ausreichend“ nachkomme.

Interessant sind vor allem die Ausnahmen. So kann sich der Beschäftigte immer dann direkt an die Behörden wenden, wenn ihm der interne Weg „nicht zumutbar“ ist. Mehrere entsprechende Fälle zählt der Vorschlag ausdrücklich auf. So ist eine interne Bitte um Abhilfe nicht erforderlich, wenn aus dem Betrieb heraus „eine unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt droht“. Dies gilt zum Beispiel, wenn nach einem Störfall Radioaktivität austritt. Der direkte Weg zu den Behörden ist auch möglich, wenn der Arbeitgeber eine Straftat begangen hat. Denkbar ist dies zum Beispiel, wenn Behörden bestochen wurden.

Auch bei einfachen Unregelmäßigkeiten im Betrieb darf sich der Arbeitnehmer dann direkt an die Behörden wenden, wenn er weiß, dass „eine innerbetriebliche Abhilfe nicht oder nicht ausreichend erfolgen wird“, etwa weil er früher schon schlechte Erfahrungen gemacht hat. Der Vorschlag geht deutlich über die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hinaus. So durfte ein Arbeitnehmer bisher zum Beispiel nur bei „schwerwiegenden“ Straftaten des Unternehmens auf eine interne Klärung verzichten. Künftig soll dies bei allen gelten.

Den Vorschlag haben drei Minister gemeinsam erarbeitet: Von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) stammt die konkrete Formulierung, Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) ist für das Arbeitsrecht zuständig, und Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU) betont die Bedeutung der Vorschrift zur Aufdeckung von Fleischskandalen. Anfang Mai wurde der Entwurf den Koalitionsfraktionen übersandt. Bis Juni wollen sie entscheiden, ob sie das Vorhaben mittragen. Der Paragraf würde dann in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren zur Verschärfung des Lebens- und Futtermittelgesetzbuchs eingebracht. Der Informantenschutz soll aber für Betriebe aller Art gelten.

Wie zu erwarten lehnt die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände den Vorschlag ab. Er fördere das „Denunziantentum“ im Betrieb, so Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt.

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