Dieser Weg wird kein leichter sein

Nach einer Europameisterschaft ist vor einer Europameisterschaft. Doch wo 2012 das Turnier stattfinden wird, ist gerade fraglich. In Polen und der Ukraine laufen die Vorbereitungen schleppend. Auch im Endspielort Kiew lässt der Stadionumbau auf sich warten. Jetzt rückt die Uefa an

AUS KIEW JURI DURKOT

Die Betonpfeiler hinter dem grünen Zaun ragen in den Himmel. Ein paar Kräne stehen herrenlos herum. Von Bauhektik keine Spur. Im Gegenteil: Es tut sich kaum etwas vor den Toren des größten ukrainischen Fußballstadions in Kiew. Das in den 30ern erbaute und in den 60ern für knapp 100.000 Zuschauer erweiterte Stadion hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Während der Olympischen Spiele von 1980 wurden im Republikanischen Stadion Viertel- und Halbfinalspiele ausgetragen. In den 80ern spielte hier Dynamo Kiew seinen damals in der Sowjet-Meisterschaft größten Rivalen Spartak Moskau an die Wand.

Als die nach der Unabhängigkeit ausgebrochene Wirtschaftskrise die Ukrainer zum Kofferhandel zwang und sie auf der Suche nach Überlebensmöglichkeiten ins ferne und nahe Ausland trieb, wurde die Arena in einen Basar umfunktioniert. Für die Fans bleibt aber etwas anderes in Erinnerung: die Spiele gegen Russland in den 90ern und die internationalen Erfolge von Dynamo Kiew in und nach der Sowjetzeit. Bayern München, Real Madrid, AS Rom oder Arsenal London – alle mussten sich Dynamo beugen.

Doch die letzten großen Dynamo-Siege liegen schon einige Jahre zurück. Der Klub spielt längst in einer anderen Arena, die den Namen der Trainer-Legende Waleri Lobanowski trägt. Und das inzwischen in „Nationalen Sportkomplex Olimpijski“ umbenannte Stadion steht vor dem wichtigsten Umbau seiner Geschichte. Hier soll 2012 das Finale der EM stattfinden. Den Zuschlag für die rund 190 Millionen Euro teuren Umbau hat die Archasia Design Group bekommen. Das Unternehmen aus Taiwan hat Wettbewerber wie die deutsche Hochtief, die österreichische Alpine Bau oder die britische Foster&Partners ausgestochen. Doch vergangene Woche hat die Regierung in Kiew Archasia vorgeworfen, nicht alle Unterlagen eingereicht zu haben, und nun will sie über den Zuschlag neu entscheiden.

Lange Zeit war nicht klar, ob Olimpijski überhaupt Spielstätte werden könnte. Der Grund dafür war die heute so verlassen wirkende Baustelle vor dem Stadion. Hier sollte ein riesiges Einkaufszentrum entstehen. Das aber hätte den Platz vor dem Stadion versperrt und eine schnelle Evakuierung im Notfall verhindert. Die Uefa ließ den Ukrainern keine Wahl: ohne Abriss kein Spiel. „Bis Ende Juni werden wir mit den Abrissarbeiten beginnen“, beteuerte Kiews stellvertretender Bürgermeister, Anatoli Holubtschenko. Doch das halb fertige Gerüst des zukünftigen Einkaufszentrum steht noch. Allmählich wird’s ernst – Anfang Juli kommt eine Uefa-Delegation mit Michel Platini an der Spitze zur nächsten Inspektion.

800 Kilometer östlich geht es flotter zu. Bagger wälzen unermüdlich den Schlamm um, Kipplader fahren im Minutentakt hin und her, Kräne stemmen riesige Balken über das Gerüst. Die Baustelle lebt und bebt. Der ovale Umriss der zukünftigen Arena ist schon zu erkennen. Bis Jahresende soll das nagelneue, knapp 160 Millionen Euro teure Fußballstadion fertig sein. Standort ist die ostukrainische Metropole Donezk, die Stadt der Kohlegruben und Hüttenwerke. Hier treffen sich Halden mit Arbeiterslums und sowjetische Denkmäler mit dem Prunk der Industriemagnaten.

Hier ist der milliardenschwere Rinat Achmetow zu Hause – reichster Ukrainer, großer Fußballfan, Besitzer von Schachtar Donezk. „Hier fangen seine Ländereien an“, sagt Taxifahrer Oleg, als wir an einer roten Mauer entlangfahren. Dahinten befindet sich der Botanische Garten. In einem Teil davon hat sich Achmetow vor Jahren einquartiert, die Details des Deals blieben im Dunkeln. Wir biegen in eine kleine Straße ein. „Lieber nicht lange hier rumfahren“, sagt Oleg, „sonst kriegt man Probleme mit der Security. Die Mauern haben Augen.“

Im westukrainischen Lemberg wurden die Stadtmauern noch Ende des 18. Jahrhunderts von den Österreichern abgerissen, als Galizien nach der ersten Teilung Polens den Habsburgern zugeschlagen wurde. Bis zum Ersten Weltkrieg haben sie mit modernen Bauten der Stadt ihren Charme verliehen. Heute sind es wieder die Österreicher, die durch ein neues Stadion das Stadtbild prägen wollen. Die Alpine Bau GmbH und das Architekturbüro Albert Wimmer sollen bis Ende 2010 die neue Arena bauen. Das einzige Manko – die Finanzierung des rund 85 Millionen Euro teuren Projekts ist noch nicht gesichert. Bis dahin wird Lemberg den Touristen aus aller Welt sein in den Jahren der kommunistischen Herrschaft und danach im wilden ukrainischen Kapitalismus schwer in Mitleidenschaft gezogene österreichische Erbe präsentieren – die eleganten Jugendstilhäuser mit abgebröckeltem Putz, die engen Gassen, das alte Kopfsteinpflaster, dessen wellenartige Beschaffenheit die Geschwindigkeit auf natürliche Weise reguliert.

Auch sonst ist die Verkehrsinfrastruktur eines der größten Probleme. Sämtliche Flughäfen müssen modernisiert werden. Doch das Geld ist knapp. Man braucht es auch für die Modernisierung des Schienenverkehrs, dessen Streckennetz nur an wenigen Stellen eine Höchstgeschwindigkeit von 140 Stundenkilometern zulässt. Dazu will die Regierung 550 Kilometer neue Straßen bauen, darunter das ukrainische Teilstück der Autobahn zwischen Warschau und Lemberg. Andere wichtige Landstraßen sollen zumindest einen neuen Belag bekommen. Viel bringen wird das nicht, denn sie führen durch geschlossene Ortschaften. „Heute brauche ich für 530 Kilometer von Lemberg nach Kiew zehn Stunden“, ärgert sich der Busfahrer Serhij, „und fahre noch meinen Bus kaputt, weil es überall so holprig ist.“ Die Runderneuerung der Fahrbahn würde dem Bus zugutekommen. Großen Zeitgewinn erwartet Serhij nicht. „Hoffentlich werde ich die Strecke in Zukunft in neun Stunden schaffen. Eine Tagesreise bleibt es.“