Es darf auch mal exotischer sein

Schluss mit dem schlechten Gewissen beim Einkauf von Waren aus Neuseeland oder Südafrika: Der Apfelsaft aus Übersee belastet die Umwelt weniger als der von heimischen Streuobstwiesen, fand jetzt ein Gießener Forscherteam heraus

aus Berlin HANNA GERSMANN

Regional ist erste Wahl! – so wirbt die grüne Agrarministerin Renate Künast für Apfelsaft von hessischen Streuobstwiesen, für das Fleisch von Lämmern aus der Lüneburger Heide, für den ökologischen Einkauf. So einfach ist die Welt nicht, sagt Elmar Schlich von der Universität Gießen: „Die Politik muss aufhören zu generalisieren.“ Wer beim Kleinbauern in der Region kaufe, handele keineswegs zwangsläufig ökologisch.

Der Professor für Haushaltstechnik hat mit seinem Forscherteam den Energieaufwand kleiner deutscher Mostereien mit dem großer Abfüller aus aller Welt verglichen. Sein überraschendes Ergebnis: Für den Liter Saft aus der Streuobstquetsche wird bis zu zehnmal mehr Energie verbraucht als für den Saft aus dem Großbetrieb aus Übersee – als Konzentrat verschifft und in Deutschland mit Trinkwasser wieder verdünnt. Und für ein Kilo Lammfleisch aus der Region wird bis zu dreimal mehr Energie verbraucht als für das aus Neuseeland – per Schiff und Lkw über 14.000 Kilometer weit transportiert.

Schluss mit dem Mythos, nur kurze Wege seien gute Wege, den viele Ökologen seit Jahren vertreten? Verbraucher dürfen wieder mit gutem Gewissen Lebensmittel von der anderen Seite der Erdkugel kaufen? Durchaus, sagt Schlich. Zumindest sei der Transportweg für die Energiebilanz nicht entscheidend. Den Unterschied mache die Technik: Je besser die Produktions- und Transportmittel ausgelastet seien, desto weniger Energie werde pro Liter Saft oder pro Kilo Fleisch verschwendet. Kleine wie große Mostereien würden ihre Flaschen beispielsweise mit Dampf sterilisieren. Der Energieverbrauch dafür sei hoch, könne über eine moderne Wärmerückgewinnung aber eingedämmt werden. Diese teure Anlage lohne sich aber nur für die großen industriellen Unternehmen.

Die Energieeffizienz ist damit vor allem eine Frage der Betriebsgröße. Um ähnlich effizient wie ein Global Player zu sein, müsse ein Regionalbetrieb schon die enorme Menge von mehr als 1.000 Tonnen Äpfel pro Jahr verarbeiten. Davon gibt es in Deutschland jedoch nur wenige.

„Das ist nicht die gesamte Ökologie“, warnt Rainer Grieshammer vom Ökoinstitut vor voreiligen Schlüssen. Wer nur den Energieverbrauch von Podukten untersuche, komme häufig zu dem Ergebnis: Je größer die Anlage, desto besser. Das heiße nun aber noch lange nicht, dass Verbraucher nicht mehr zum Apfelsaft aus Streuobstwiesen greifen dürften. Die Gießener Forscher hätten deren Vorteile gegenüber den Obstplantagen schlichtweg nicht einbezogen. Auf den kleinräumigen, meistens alten Parzellen der Apfelbauern leben häufig seltene Pflanzen und Tiere. Für Grießhammer bleibt deshalb „der Vorrang für Regionalität richtig“. Er räumt aber ein, es gebe noch „riesige Optimierungspotenziale, auf die bisher keiner schaut“.

„Bei Waschmitteln, Kleidung oder Hausgeräten fordert niemand die generelle Regionalität“, sagt Forscher Schlich. „Warum bei Lebensmitteln?“ Ökologisch gesehen mache es keinen Sinn, wenn ein Verbraucher 50 Kilometer mit dem Auto fahre, um im Vogelsberg drei Steaks von ökologischem Fleckvieh zu kaufen. Schlich will die regionalen Produkte genauso wenig verdammen wie Grieshammer, plädiert aber dafür, neue, größere Betriebsstrukturen zu schaffen. Sein Tipp an die zuständige Agrarministerin Künast lautet deshalb: „Fördert Kooperationen!“ Die vielen kleinen regionalen Betriebe bräuchten etwa ein gemeinsames Marketing, eine gemeinsame Vertriebsstruktur. Nur wenn so in der Region effiziente Strukturen geschaffen würden, könne zu Recht von Lebensmitteln mit „hoher ökologischer Qualität“ gesprochen werden.

Im Agrarministerium war Schlichs Studie gestern noch nicht bekannt. „Die Entscheidung für regionale Produkte hat aber nicht nur mit der Energiebilanz zu tun“, betonte Künast-Sprecherin Ursula Horsetzky. So unterstütze, wer regional kaufe, auch die heimische Wirtschaft. Der Apfel aus der Region käme frischer auf den Markt als der aus Neuseeland. Das bestreitet auch Schlich nicht: „Am frischesten und ökologischsten sind Früchte aus dem eigenen Garten.“