„Wir werden in Zukunft geordnet schrumpfen“

ENERGIEWENDE Fossile Großkraftwerke sind ein Auslaufmodell, wachsende Effizienz befördert erneuerbare Energien

Die Unternehmen sollten sich von der alten Maxime lösen, dass mehr Energieabsatz mehr Gewinn bringt

VON BERNWARD JANZING

Mit dem schlichten Absatz von möglichst viel Strom und Gas werden die Energiekonzerne auf Dauer nicht mehr erfolgreich sein – „Energiedienstleistung“ und „Effizienzmarkt“ sind die neuen Schlagworte Die Impulse für die Energiewende waren immer wieder vielfältig – da gab es die Ölkrise im Herbst 1973, die Tschernobyl-Katastrophe im April 1986 oder auch den starken Ölpreisanstieg zur Jahresmitte 2008. Bis die Botschaft aber auch bei den etablierten Energieversorgern ankam, sollte es gleichwohl ein wenig dauern.

Inzwischen jedoch ist sie angekommen: „Beim Strom- und Gasvertrieb werden wir in Zukunft geordnet schrumpfen“, sagt Thorsten Radensleben, Chef des Freiburger Regionalversorgers Badenova. Zwar hört man so deutliche Worte von einem Manager der Energiewirtschaft bisher eher selten, doch übersehen kann diese Entwicklung niemand mehr in der Branche: Energierohstoffe werden knapper und damit teurer, die Herausforderungen des Klimaschutzes immer größer – Wirtschaft und Gesellschaft dürsten folglich nach verbesserter Energieeffizienz. Radensleben ist sich deshalb sicher: Ein Energieversorger, der sich noch immer darauf konzentriert, möglichst viel Strom und Gas zu verkaufen, der wird zwangsläufig verlieren.

Besonders am Erdgasmarkt wird das deutlich: Mit jedem sanierten gasversorgten Altbau bricht den Energieversorgern durch verminderten Heizenergiebedarf ein kleines Stück ihres Geschäftes weg. In der Vergangenheit konnten die Versorger die Einsparung noch auffangen, indem sie ihre Gasnetze ausbauten und somit neue Kunden akquirierten – doch damit ist es langsam vorbei. Der Energieversorger der Zukunft, davon ist Radensleben überzeugt, werde ein Dienstleister sein: „Wir müssen wahrgenommen werden als unabhängiger Berater – als jemand, der die Bedürfnisse der Energieverbraucher stillt, unabhängig von Brennstoff.“ Der Badenova-Chef ist damit auf einer Linie mit der Managementberatung A. T. Kearney: „Die Unternehmen sollten sich von der alten Maxime lösen, dass mehr Energieabsatz mehr Gewinn bringt“, sagt Martin Handschuh, Energieexperte bei A. T. Kearney: „In der Energiewelt von morgen könnte es mehr Gewinn bringen, dem Kunden dabei zu helfen, weniger Strom und Gas zu verbrauchen.“ Diese Sichtweise findet auch im Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) langsam Unterstützer. „Neue Geschäftsfelder und Anwendungstechniken werden die Branche verändern“, sagt die Verbandsvorsitzende Hildegard Müller. Energieversorger würden zunehmend zum Energielotsen im Förderdschungel, zum Energiecoach bei der Gebäudeenergieversorgung, zum Serviceberater für die Anlagenfinanzierung, die Erzeugung und Abrechnung von Wärme und Strom sowie zum Kompetenzmanager für vernetzte, intelligente Haustechnik. So beginnt sich in der Branche der Begriff „Energieeffizienzmarkt“ zu etablieren.

Ein typisches Beispiel solcher moderner Geschäftsmodelle ist das Einsparcontracting. Dabei nehmen Investoren Geld in die Hand, um auf eigene Rechnung die Wärmeversorgung in fremden Immobilien (bislang häufig öffentliche Gebäude) zu sanieren. Sie refinanzieren sich, indem sie sich über zumeist acht bis zwölf Jahre einen Großteil der eingesparten Energiekosten auszahlen lassen. Anschließend kommen die Einsparungen voll dem Gebäudeeigentümer zugute. So profitieren am Ende alle Beteiligten: der Nutzer der Immobilie durch langfristig reduzierte Energiekosten, der Investor durch seine Rendite – und obendrein die Umwelt durch den verringerten Energieverbrauch.

In Berlin zum Beispiel hat die Stadt bereits mehr als 1.300 Gebäude in solchen „Energiesparpartnerschaften“ unter Vertrag. Es sind Schwimmbäder, Schulen, Hochschulgebäude, aber auch andere Einrichtungen, wie etwa eine Justizvollzugsanstalt. Mitunter lässt sich der Energieverbrauch der Objekte damit um 30 Prozent senken – und das auch noch wirtschaftlich hochprofitabel.

Mit dem Ausbau solcher Geschäftsaktivitäten wird der Neubau von konventionellen Kraftwerkskapazitäten unattraktiver. Und so ist es kein Zufall, dass in diesen Umbruchzeiten der Energiewirtschaft die Neubaupläne für Kohlekraftwerke kippen wie die Dominosteine: In den letzten Monaten wurde das Kraftwerk Ingelheimer Aue in Mainz gestoppt, ein Kohlekraftwerk in Dörpen im Emsland, eines in Lubmin bei Greifswald, weitere in Stade und Emden.

Die Gründe für die Abkehr von den Neubauten waren vordergründig zwar unterschiedlich, doch wie auch immer man es formulierte, letztendlich war es immer die unsichere Rentabilität, die zum Rückzug führte. Zumal sich im Jahr 2009 ein deutlicher Rückgang des Strombedarfs zeigte, der zu deutlich ist, als dass man ihn als kurzfristigen Ausschlag werten könnte: 5,3 Prozent weniger als im Vorjahr, der größte Rückgang in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Nun könnte man dem Glauben verfallen, der Energieverbrauch werde bald schon wieder umso stärker steigen – doch Branchenkenner widersprechen. Bei A. T. Kearney ist man überzeugt, dass noch über Jahre hinweg ein Minderverbrauch spürbar bleiben wird: „Die ‚Delle‘ im deutschen und europäischen Energieverbrauch wird auch nach dem Ende der Krise nicht vollständig ausgeglichen sein, sondern bis 2020 zu einem geringeren Verbrauch führen als vor der Krise angenommen.“

Kein Wunder, dass da mancher Investor im Sektor der Stromerzeugung auf die Bremse tritt. Zumal den Großkraftwerken inzwischen auch durch den Ausbau der erneuerbaren Energien Jahr für Jahr weitere Absatzmengen wegbrechen. Für das Jahr 2013 rechnen selbst die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber mit einem Zuwachs an Ökostrom von 20 Milliarden Kilowattstunden gegenüber 2009. Und die sind nicht der grünen Euphorie verdächtig.