Umbettung auf russische Art

Aus dem Moskauer Vorort Chimki sollen Gräber von sechs im Zweiten Weltkrieg gefallenen Piloten verlegt werden – wegen Baumaßnahmen

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Auch Moskau hat ein Problem mit dem Umbetten sterblicher Überreste seiner Helden aus dem Großen Vaterländischen Krieg. In Chimki auf dem Weg zum Flughafen Scheremetjewo erinnern zwei Denkmäler an die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs. Vor Ikeas Megamall markieren Panzersperren den Ort, wo die deutschen Truppen aufgehalten wurde. Wenige hundert Meter gegenüber steht ein Fliegerdenkmal mit den Gebeinen von sechs gefallenen Piloten.

Am Morgen des 19. April hoben Bulldozer die Gräber aus. Tadschikische Gastarbeiter sammelten die Gebeine in Plastiksäcken zusammen. Einige wurden übersehen, stellten Veteranen fest. Niemand hatte die Baustelle nach dem Eingriff gesichert. Erst als sich die Sache herumsprach und Parallelen zu den Tallinner Ereignissen gezogen wurden, reagierte die Behörde. Noch vor Russlands Feiertag des Sieges am 9. Mai sollen die Toten auf einem Friedhof beigesetzt werden.

Doch die Gebeine sind verschwunden. Chimkis Behörden verweisen auf das Leichenhaus in Schodnja, das jedoch nichts von der Zwischenlagerung weiß, und der Bestatter „Ritual“ verweigert die Auskunft, berichtete newsru.com. Stattdessen sind protestierende Bürger erheblichem Druck von Miliz und Behörden ausgesetzt. Kommunistische Demonstranten seien in einem Vorortzug von der Polizei zusammengeschlagen worden, berichtete die Nowyje Iswestija.

Moskau ist bemüht, den Fall nicht an die große Glocke zu hängen. Der Umbettungsbeschluss liegt zwei Jahre zurück, wurde aber wegen Protesten verschoben. Das Kulturministerium des Moskauer Umlands genehmigte die Verlegung und Pläne, am selben Ort ein Technologie- und Innovationszentrums zu errichten, will die Initiative „Russland – gesunder Menschenverstand“ erfahren haben. Die Erweiterung der Leningrader Chaussee und das Treiben von Prostituierten rund um das Denkmal seien Anlass für die Maßnahme gewesen, sagt die Behörde.

Die Gegner zweifeln an der Erklärung. Die Chaussee werde nicht um 15 Spuren verbreitert und die Prostituierten hätten einen anderen Platz gefunden. Chimki boomt, Baugrund, direkt an der Stadtgrenze, gehört zu den teuersten Immobilien im Moskauer Einzugsbereich. An Steuereinnahmen hat der Vorort die Metropole überholt.

Nicht alle Veteranen sind gegen die Umbettung. Der Vorsitzende des lokalen Veteranenvereins, Petr Kostin, unterstützt die Behörden. „Nach den Normen christlicher Moral war es nötig, die Überreste an einen würdigeren Ort zu verlegen.“

Verhaltenen Missmut äußerte der Vorsitzende des Duma-Komitees für internationale Beziehungen: „Ich verstehe ihre Entscheidung nicht, ausgerechnet in dem Moment, da wir versuchen das Andenken der Helden des Vaterländischen Krieges in Estland zu verteidigen“, sagte Konstantin Kosatschew, warnte aber vor falschen Schlüssen: Chimki hätte nichts mit dem „politischen Kampf“ zu tun, der um den bronzenen Soldaten zwischen Estland und Russland entbrannt sei. Der Abgeordnete plauderte aus, was niemand benennt. Nicht das Andenken steht im Vordergrund, sondern der verhasste Nachbar.

So erfahren die Bürger nur wenig aus Chimki. Nur Radio Echo Moskau sowie zwei, drei Zeitungen und Internetdienste griffen das Thema auf. Stattdessen berichten Staatsmedien über die Blockade der estnischen Botschaft in Moskau, die Stoßtrupps der Kremljugend „Naschi“ seit Tagen belagern. Dass sie damit gegen Gesetze verstoßen, stört keinen. Dieses Vorgehen scheint erwünscht. Sie kontrollieren Passanten und agieren wie parastaatliche Organisationen. Zum Schulterschluss zwischen Mob und Macht ist es nicht mehr weit.