Prinzen mit Pfefferminztee

Ulm gewinnt: Bislang galten Kinderzimmer Productions als Stiefkinder der deutschen HipHop-Szene. Mit „Wir sind da wo oben ist“ schrauben sie die Messlatte des Genres nun auf ungeahnte Höhen

von THOMAS WINKLER

HipHop organisiert sich sportlich. Im „battle“-Wettbewerb wird der gelenkigste Tänzer gesucht oder der Writer, der die meisten Züge besprüht. Wer am fingerfertigsten die Plattenspieler bedient und die verwegensten Reime baut, der bekommt von den Kollegen Respekt. Und Respekt ist im HipHop, was eine Goldmedaille ist bei Olympia.

Henrik von Holtum und Sascha Klammt sehen allerdings nicht aus, als könnten sie Goldmedaillen gewinnen. Eher wie die sympathischen Antihelden von nebenan, der Schlaksige und der zu kurz Geratene. Sie sehen nicht mal aus, als könnten sie gut tanzen. Eher wie die zwei Typen, die immer zusammen an der Theke stehen und leicht bekifft vor sich hin kichern. Ganz sicher haben sie ihre Adoleszenz nicht mit der illegalen Umgestaltung von S-Bahn-Waggons zugebracht. Stattdessen grinst Klammt ständig halb ungläubig zufrieden, halb verlegen – ungefähr so, wie manche Menschen bei Beerdigungen lachen müssen. Als fände er es wunderlich, hier zu sitzen im schlicht-funktionalen Berliner Büro einer multinationalen Plattenfirma, und bei Obst und Saft Auskunft zu geben zu seiner neuen Platte. Direkt über seinem Kopf hängt ein Plakat an der Wand, das zu spät kommt, um den bereits gefloppten Mariah-Carey-Film „Glitter“ zu bewerben.

Die Stimme des Zweifels

Klammt ist als DJ Quasi Modo die eine Hälfte von Kinderzimmer Productions. Deren neue Platte heißt, nur halb ironisch: „Wir sind da wo oben ist“. Dabei sind Kinderzimmer Productions seit Jahren ein Stiefkind der Szene. Das Duo aus Ulm war nicht großmäulig, sondern eloquent, riskierte keine dicke Lippe, sondern schlaue Gedanken, und baute keine fett wummernden Beats, sondern fantasievolle Tracks. Gerade ihre Zurückhaltung und Intellektualität machten sie verdächtig. „Von der HipHop-Seite wurde uns erzählt: Euer Zeug ist cool, aber ihr macht ja keinen HipHop“, berichtet von Holtum, der als „Textor“ für die Reime zuständig ist. „Von der anderen Seite kam: Ihr macht zwar HipHop, aber ihr seid trotzdem cool.“ Eine Position, in der man sich „nicht immer wohl gefühlt“ habe. Das HipHop-Magazin Juice kürte sie dafür zum Trost kürzlich zur „am meisten missverstandenen Combo der Rapublik“.

Da kann man nur sagen: Pech für die Rapublik, dass ausgerechnet Kinderzimmer Productions nun den reifsten, konsequent zuende formulierten Entwurf von HipHop vorlegen, den dieses Land bislang gesehen hat. Ihr mittlerweile viertes Album markiert ein neues Zeitalter im deutschsprachigen Rap: „Wir sind da wo oben ist“ steht so sicher im bundesrepublikanischen Hier und Jetzt wie keine Platte vor ihr. Einerseits wird ein Irgendwie-Linkssein mit lange vermisstem Wortwitz versorgt, andererseits werden faule Intellektuelle mit rhythmischen Arschtritten zum Tanzen aufgefordert. Erstmals im deutschen HipHop bekommt der Zweifel derer Stimme, die sich beim Pinkeln hinsetzen, mangels Alternativen immer noch Grün wählen, vollkommen selbstverständlich den Kriegsdienst verweigern und auf die taz meckern, während sie sie gleichzeitig abonnieren. Kurz: Irgendwie „eine moralische Verpflichtung“ fühlen, so von Holtum.

Freundeskreis waren ja immer irgendwie politisch, oft allerdings auch etwas peinlich. Jan Delay führte im letzten Sommer die RAF in den Rapduktus ein, aber versteckte sich dabei hinter sommerlich fettem Reggae. Eins, Zwo, von denen Klammt beim Interview ein T-Shirt trägt, sind so witzig, wie man mit Worten nur sein kann, aber mehr als HipHop selbst interessiert sie kaum. So scheint es fast, als würden Kinderzimmer Productions die Quersumme ziehen aus dem, was deutschen Rap hörbar macht. Dabei sind sie auf „Wir sind da wo oben ist“ niemals ausdrücklich witzig, politisch oder persönlich, sondern all das einfach so mal schnell im Vorübergehen. „Denn“, textet Textor, „ohne Stil ist alles nichts oder zumindest nicht viel.“

Das kommt aber auch nicht aus dem Nichts. Klammt ist 27 Jahre alt und studierter Elektrotechniker, sein Kompagnon von Holtum ein Jahr älter. Ihren Ansatz haben sie bereits auf drei Platten ausgebaut. In Ulm konnten sie sich, unbeeinflusst vom Hype um die HipHop-Hochburgen Stuttgart und Hamburg, entwickeln, unbeeindruckt von der dort und anderswo gepflegten „Selbstgerechtigkeit, Selbstbeweihräucherung, auch Engstirnigkeit, was die Definition von HipHop angeht“. Früher aber stand sich Textor oft selbst im Wege, verlor sich gern im selbst formulierten Anspielungsdschungel und nahm sich so oft zurück, dass am Schluss nur mehr die Ambivalenz stand. „Pathetisch wie ich bin, schreib ich es hin und nieder, wieder und wieder, über und unter, drüber, drunter“ hieß es selbstkritisch bereits auf „Im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit“, ihrem ersten offiziellen Album, nachdem ihr eigentliches Debüt „Die Letzte“ wegen eines nicht genehmigten Stranglers-Sampels wieder eingestampft werden musste. Auf der darauf folgenden Veröffentlichung „Die hohe Kunst der tiefen Schläge“ wurden Hörer mit empfindlichen Boxen gewarnt, die Lautstärke vorsichtshalber herabzusetzen: HipHop zum Zuhören, zum noch mal Hören, zum wieder und wieder Hören. Nun aber sagt von Holtum: „Ich wollte eine Position beziehen. Auch auf die Gefahr hin, einen Fehler zu begehen.“

So haut er nun, wie es im Titelsong des neuen Albums heißt, „Fixpunkte ins Nichts“. Die sympathische Unsicherheit hat er sich zum Glück erhalten, immer noch reimt er: „Es ist nicht gerade, wenn es gebogen ist/ Es ist nicht, wo es war, wenn es verschoben ist/ Es ist nicht wahr, wenn es gelogen ist/ Wir sind da, wo oben ist.“ Nur: Die stete Suche nach der Wahrheit – oder doch zumindest nach einer Aussage, die stehen bleiben kann – wird auf „Wir sind da wo oben ist“ immerhin manchmal von Erfolg gekrönt. Jetzt heißt es also: „HipHop übernachtet bei mir, wenn er mal in Deutschland ist“, und man soll sich wohl erinnern an KRS One. Während der dereinst herrisch das Hündchen HipHop hinter sich her dackeln ließ, sieht Textor HipHop als ebenbürtigem Partner: „Er trinkt dann Pfefferminztee mit mir an meinem Küchentisch.“ Dass man solchen Zeilen die Herkunft des Autors aus gutbürgerlichen, mitteleuropäischen Verhältnissen anhört, ficht von Holtum nicht an. Denn lächerlich wäre es, „aus uns Ghettokinder oder herbe Männer machen zu wollen“.

So schlüpft er wie Eminem in verschiedene Rollen, wie ein Eminem, macht aber auch die Differenz klar: Während Eminem im Song seine Frau killt und seine Mutter beschimpft, textet von Holtum: „Mama! Mach dir keine Sorgen über das, was ich auf Platten tu, ich bin nur eine Kunstfigur.“ Seine Bezugspunkte reichen von Wum und Wendelin bis Hank Williams, vom Mathe-Unterricht bis in die Popcharts, von Klassentreffen bis kaputte Beziehung. Und gänzlich unverkrampft streift seine Rede dabei typisch deutsche Obsessionen, von Ballaststoffen bis zu Blumfeld, deren „L’Etat et Moi“ er als „eines meiner Schätzchen im Plattenregal“ bezeichnet: Was dort „an Umgang mit deutscher Sprache geschieht, ist weit maßgeblicher als das, was im deutschen HipHop je passiert ist“.

Wer weiß? Vielleicht wird „Wir sind da wo oben ist“ für den deutschen Rap einmal einen ähnlichen Wendepunkt markieren wie „L’Etat et Moi“ dereinst für den Diskurs-Pop. Was man aber jetzt schon sagen kann: Kinderzimmer Productions wollten „autarker werden“ von ihren Einflüssen, denn „irgendwann ist man an dem Punkt angelangt, wo man alle zitiert hat“. Parallel dazu ist ihr vierter Versuch auch musikalisch der bislang ausgereifteste, weil Quasi Modo in den neuen Tracks die Reduzierung aufs Nötigste pflegt. „Bei den alten Platten haben wir eher Samples gestapelt, Soundcollagen gebastelt“, erzählt er, „diesmal hat es mich gereizt etwas sehr, sehr Eindeutiges zu machen, etwas völlig Unmissverständliches.“ So transparent war das Kinderzimmer nie, schließlich wollte man sich ganz bewusst von den überladenen Produktionen abgrenzen, die die Charts momentan dominieren.

Keine Angst vorm Hook

Trotzdem groovt ein Track wie „Nie wieder gut“ ganz fürchterlich, lässt sich zu „Deck das Dach ab“ Party feiern, und „Der große Switcheroony“ rollt dafür verzögert und zähflüssig. Die Samples beschwören mal Kindheitserinnerung an alte Trickfilme, Kindersendungen oder Vorabendserien, beziehen sich aber ebenso auf Old-School-HipHop wie auch auf Independent-Rock oder LoFi-Folk. Oder auf Jazz, den von Holtums Mutter in ihrer schwedischen Heimat sang. Man hört zwar nicht unbedingt, dass von Holtums Vater ein klassisch ausgebildeter Schlagzeuger ist. Dafür aber durchaus, dass der Sohnemann früher Dreadlocks trug und noch heute Bass spielt bei einer Band namens Staub, die in der Tradition von American Music Club ultralangsamen Country spielt.

Vielleicht ist es diese Offenheit in alle Richtungen, die Kinderzimmer Productions nun konsensfähig werden lässt. Neuerdings werden sie nicht mehr nur in der Spex gefeiert, sondern auch in der HipHop-Presse gelobt, und sogar im Elektronik-Magazin de:bug, das sonst noch immer Probleme mit DeutschRap hatte, als „herrlich unkonventionell“ verunglimpft.

Was aber schlussendlich aus „Wir sind da wo oben ist“ eine wirklich gute Platte macht, ist die Tatsache, dass Kinderzimmer Productions keine Angst mehr vor der eingängigen Hookline haben: Jeder zweite Track ist ein Hit von der Sorte, die sich erst beim zweiten, dritten oder vierten Mal in die Gehirnwindungen fräsen. Genau die Sorte also, die ewig bleibt.

Kinderzimmer Productions: „Wir sind da wo oben ist“ (Virgin)