Der traurige Schmusekönig

Wäre er nicht 1991 an gebrochenem Herzen gestorben, würde Roy Black heute seinen 60. Geburtstag feiern. Der NDR zeigt um 15.04 Uhr eine Dokumentation zum Leben des Schlagersängers

von JAN FEDDERSEN

Auf seinem Grabstein steht nicht der Name, den er seit Mitte der Sechzigerjahre trägt. Man muss also auf dem Friedhof im bayerischen Göggingen nach einem Stein suchen, auf dem Gerhard Höllerich steht. Das ist der Geburtsname von einem, der mit dem Lied „Du bist nicht allein“ am Ende jenes Jahrzehnts berühmt zu werden begann. Es war eine Ära, als der aufmüpfige Teil der Bundesrepublik gegen den Muff unter den Talaren und das Spießertum an sich rebllierte.

Aber das war nicht die Welt des Showbusiness und damit auch nicht die des Wirtschaftsstudenten Höllerich, der die Beatles mochte, die Stones schätzte und überhaupt Rock ’n’ Roll im Körper fühlte.

Seine erste Single hieß „My Little Girl“, und sie floppte. Die Manager der Polydor wollten sich aber nicht geirrt haben. Ein Mann mit dunklem Haar; eine Zahnreihe, die er beim Lächeln zeigte, leicht lückenhaft; ein wenig zu eng beieinander stehende Augen, die so etwas wie Zärtlichkeit ausdrückten; und in der Stimme ein Timbre, das besonders dann gut zu hören war, wenn er die Silben in seinen Texten leicht wegschluchzte: Das war ein Teil seiner Aura, der obendrein eine gewisse Melancholie eigen schien. Roy Black – das war kein Sänger des Frohsinns, sondern ein Troubadour für die gewissen Stunden, für die Momente davor und danach.

Subversiver Stratege

Kein schwitzender Maniac wie Tom Jones, kein deodorierter Schmeichler wie Engelbert oder ein frankophon souverän auftrumpfender Entertainer wie Udo Jürgens. Roy Black – das war einer, der die Champions League der Plattenindustrie in Deutschland verkörperte. Er war der Bestseller und der Verführer in einem. Kein Rowdy, kein Krawallo, kein Politruk – und zugleich ein Sänger, der diesen verhassten kleinbürgerlichen Muff jener Jahre nicht in seiner Person zur Deckung brachte: ein subversiver Stratege der Idee, kein Macho sein zu müssen.

Christian Stöffler hat über Roy Black eine Dokumentation gefertigt. Überwiegend lebt sie von alten Aufnahmen und Interviews mit Black selbst, im Gegenschnitt aufgefangen mit Gesprächen, die er mit Zeitzeugen und Freunden Blacks führte. Namen und alt gewordene Gesichter führt er vor: Dieter Thomas Heck („Er wollte leider immer anders sein“), Tony Marshall („Er hätte einen Grabstein mit dem Namen verdient, mit dem er bekannt wurde“), Marion Maerz („Ich habe ihn geliebt“), Karel Gott, Mary Roos, Vicky Leandros – und Dieter Bohlen, der Produzent der letzten Tonträger Blacks vor seinem Tod im Herbst 1991.

Und alle Gespräche haben das gleiche Thema: Wie konnte es nur so kommen, dass einer den größtmöglichen Erfolg auf der Showbühne hat und doch über das, was er dort an Begeisterung weckt, todunglücklich wird.

Beeindruckend jene Geschichte, die Dieter Thomas Heck berichtet: Dass Roy Black einst zu ihm kam und erzählte, er habe die Frau seines Lebens getroffen, die Graphikerin Silke Vagts. Sie sei hübsch und intelligent, ihr größter Vorzug aber sei, dass sie alles, was er singe, überhaupt nicht möge. Heck meinte, das könne nicht gutgehen: „Ihr steht morgens auf, du gehst ins Tonstudio zur Arbeit, kommst abends nach Hause – und deine Frau würde sich für das, was du machst, nicht interessieren.“

Heck sollte Recht behalten, die Ehe scheiterte. Auch Uschi Glas, die – kleine boshafte Notiz am Rande durch Manager Kaminski – von Black als kalt bezeichnet worden sein soll, äußert sich in diesem Sinne. Er möge sich versöhnen mit seinem Job, mit dem, womit er Geld, viel Geld verdient, und es deshalb nicht verachten. Mary Roos sagt, er habe unter Depressionen gelitten, möglicherweise seien die nicht nur auf schlechte Kritiken, verheerenden Spott seitens der Nichtboulevardpresse und auf den Stress seines Jobs zurückzuführen. „Auf mich wirkte er immer ein wenig zu traurig, als wollte er am liebsten allein sein.“

Die Ruhe ist weg

Stöffler, der für den NDR schon mehrere Collagen aus Unterhaltungsarchiven zusammengestellt hat, zeigt einen wunderbaren Film – deprimierend und wiedererkennbar zugleich. Er hat extrem gründlich gearbeitet. Dokumentationen dieser Dichte, zumal geprägt von der Liebe zum Stoff, gänzlich ohne Hochmut eben diesem Showbusiness gegenüber, sind sonst im deutschsprachigen Raum rar.

Die Schlüsselszene ist in der ersten Viertelstunde zu sehen. Zu Wort kommen Roy Blacks Eltern. Vater Höllerich sagt: „Uns wäre lieber gewesen, er hätte einen anständigen Beruf gelernt.“ Das Familienleben sei durch den Hype um ihren Sohn aus dem Ruder geraten. 500.000 Singles pro Titel durchschnittlich verkaufte Roy Black zu seinen besten Zeiten. Und dann sagt der Vater: „Wir waren für uns. Die Ruhe ist weg.“ Das scheinen Eltern gewesen zu sein, gegen deren Schuster-bleib-bei-deinen-Leisten-Moral das jugendliche Deutschland auf die Barrikaden ging. Roy Black hat sich die Rebellion nie zu Eigen gemacht. Er liebte die Scheinwerfer und hatte zugleich Angst vor ihnen.

Am 10. Oktober 1991 war sein Tod der „Tagesschau“ eine Meldung wert: „Roy Black ist tot.“ Man fand ihn am 9. Oktober „mit gebrochenem Herzen“ (Iwan Rebroff) auf dem Boden seiner einsam gelegenen Hütte in einem oberbayerischen Moor.