„Patente sind kein Hindernis“

Moderation KATHARINA KOUFEN

taz: In Deutschland kann ein HIV-Infizierter mittlerweile jahrelang ohne große Beeinträchtigung leben. In vielen Teilen Afrikas hingegen sterben Infizierte, weil die Medikamente zu teuer sind. Sollte man Patente abschaffen?

Tobias Luppe: Nein, das ist gar nicht nötig. Aber Entwicklungsländer müssen das Recht haben, finanzierbare Medikamente zu bekommen. Dafür gibt es im internationalen Patentrecht, also im Trips-Abkommen der WTO, die Möglichkeit der Zwangslizenz – also für eine bestimmte Zeit ein Nachahmemedikament billiger herzustellen. Wenn Entwicklungsländer diese Mittel effizient nutzen könnten, wäre schon viel erreicht.

Wieso können sie das nicht?

Luppe: Weil das Trips-Abkommen bis jetzt den Export von unter Zwangslizenzen hergestellten Medikamenten verboten hat. Die meisten Entwicklungsländer sind gar nicht in der Lage, Medikamente selbst herzustellen. Zwar haben sich die WTO-Staaten letztes Wochenende darauf geeinigt, den Import in bestimmten Fällen zu erlauben. Aber daran sind Bedingungen geknüpft, die die Entwicklungsländer nur sehr schwer erfüllen können. Die Industrienationen versuchen mit allen Mitteln, den Generikaexport in Entwicklungsländer so schmal wie möglich zu halten. Das liegt letztlich am Einfluss der Pharmaindustrie, die sich nicht gerade konstruktiv zeigt.

Harald Zimmer: Konstruktiv haben wir uns sehr wohl gezeigt. Zum Beispiel gibt es für Aids, Malaria und Tuberkulose schon länger ein Moratorium, das besagt, dass solche Krankheiten ein Grund für Zwangslizenzen sein können. Interessant ist, dass noch kein Entwicklungsland je eine Zwangslizenz erteilt hat.

Luppe: Weil die Entwicklungsländer von den Industriestaaten unter Druck gesetzt werden. Und wenn Sie sagen, dass die Produktion von Generika für Aids, Malaria und Tuberkulose unter einer grenzüberschreitenden Zwangslizenz bereits erlaubt ist, dann ist das mehr als zynisch! Für Malaria und Tuberkulose gibt es fast keine Medikamente, auf die ein Patenschutz besteht, das heißt, diese Medikamente für eine Umgehung des Patenschutzes zu öffnen, ist Quatsch!

Zimmer: Genau das ist es ja! Gerade mal fünf Prozent der 325 in der Weltgesundheitsorganisation WHO aufgeführten „Essential Drug List“ sind von einem Patent geschützt. Aber: Alle die anderen wichtigen Medikamente sind patentfrei – und trotzdem nicht ausreichend verfügbar. Das zeigt doch: Der Patentschutz ist überhaupt kein Hindernis.

Sondern?

Zimmer: Die eigentlichen Probleme sind Armut, fehlende medizinische Infrastruktur und auch das fehlende Engagement der Regierungen dieser Länder.

Luppe: Nein! Dass keine Medikamente verfügbar sind, liegt daran, dass die Arzeimittelhersteller an diesen Krankheiten nicht forschen, weil es sich nicht lohnt. Für HIV ist der öffentliche Druck einfach so groß, da muss man die grenzüberschreitende Zwangslizenz öffnen. Aber was ist zum Beispiel mit Atemwegserkrankungen – Todesursache Nummer zwei in Afrika?

Wenn Patente keine Rolle spielen – warum dreht sich der Trips-Streit dann um Patente?

Luppe: Einer der Gründe, warum 95 Prozent der Medikamente auf der „essential drug“-Liste nicht patentiert sind: Der Preis ist wichtig, um auf diese WHO-Liste zu kommen. Patentierte Mittel sind schlicht zu teuer!

Zimmer: Patente sind notwendig, damit die Pharmaindustrie ihre Forschungskosten zurückbekommt. Und wenn Sie sagen, es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen Patentschutz und Preisen, dann frage ich mich, was das für eine Logik ist. Ich habe doch nichts davon, wenn ich einen Preis verlange, den kein Mensch bezahlen kann. Es ist ganz klar, dass ich in Afrika nicht den Preis nehmen kann, den ich in Europa bekomme.

Luppe: Dort, wo die Menschen keine Kaufkraft haben, kurbeln Patente auch die Forschung nicht an. Wie sonst ist zu erklären, dass von den 13.000 Medikamenten, die in den letzten 25 Jahren auf den Markt gekommen sind, nur 16 gegen Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose sind, Krankheiten, von denen die ärmeren Menschen betroffen sind? Es ist viel wahrscheinlichder, dass Potenzmittel entwickelt werden, als gegen die Schlafkrankheit.

Zimmer: Es stimmt nicht, dass es keine Medikamente gegen Tropenkrankheiten wie die Schlafkrankheit gibt. Das sind zwar alte Medikamente, möglicherweise nicht mehr so wirksam wegen Resistenzen, aber es stimmt nicht, dass die Industrie daran nicht forscht. Es gibt in letzter Zeit neue Entwicklungen. So hat Novartis das Malariamittel „Coartem“ entwickelt …

Luppe: … zusammen mit der WHO. Das hat nicht die Pharmaindustrie bezahlt.

Zimmer: Ja, aber wir leben schließlich vom Verkauf von Medikamenten. Irgendwoher muss das Geld ja kommen. Deshalb geht eine solche Finanzierung eigentlich nur über Partnerschaften. Es kann nicht sein, dass ein Industriezweig, der im Konkurrenzkampf steht, Produkte entwickelt und Millionen investiert, nachher keine Möglichkeit hat, das zu refinanzieren.

Sollte der Staat mehr Anreize für die Forschung an Tropenkrankheiten schaffen?

Luppe: Solche Anreize gibt es bereits. Zum Beispiel der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose. Darüber können Pharmaunternehmen ihre Forschung an Krankheiten in Entwicklungsländern refinanzieren. Nur: Dieser Fonds ist so gut wie pleite, weil unter anderem die deutsche Regierung ihren Anteil nicht einzahlt.

Zimmer: Es ist nicht so, dass die Pharmaindustrie kein offenes Ohr für die Probleme mit Tropenkrankheiten hätte, es gibt Institutionen, One World Health z. B., die mit der Pharmaindustrie bei Krankheiten zusammenarbeiten, die keine typischen westlichen Krankheiten sind.

Warum forschen die Entwicklungsländer, die die Kapazitäten haben, nicht selbst?

Zimmer: Länder wie Indien, Brasilien und China, die selbst mit Tropenkrankheiten konfrontiert sind und genug Know-how haben, forschen nicht, weil sie das Trips-Abkommen noch nicht implementiert haben. Die können nicht das Risiko eingehen und forschen, und dann ermächtigen sich ihre Kollegen von den anderen 20.000 Pharmaunternehmen in Indien, die nichts anderes tun, als Generika herzustellen, sofort dieses neuen Produkts und vermarkten es.

Afrika macht nur ein Prozent des Pharmamarktes aus. Warum verzichtet die Pharmaindustrie dort nicht einfach auf ihre Patente?

Zimmer: Dort, wo es Patente gibt, verzichten manche Konzerne schon auf die exklusive Vermarktung. Oft werden Patente aber auch angemeldet, um etwas gegen Fälscher in der Hand zu haben. Und ob die Patente dann tatsächlich durchgesetzt werden, ist noch eine andere Frage.

Luppe: Das ist das Problem! Um eine lebenslange Aids-Therapie durchzuführen, braucht man Rechtssicherheit: Bayer oder wer auch immer wird sein Patent hier nie durchsetzen.

Aber einige Firmen haben sich doch bereits bereit erklärt, Medikamente billig oder ganz umsonst abzugeben.

Zimmer: Ich muss da auch vehement widersprechen. Boehringer zum Beispiel hat in Südafrika einen Vertrag mit Aspen für „Nevirapin“ gemacht. Im Übrigen wird dieses Aids-Medikament seit Jahren von Boehringer Ingelheim umsonst angeboten – aber nur wenige Regierungen sind darauf eingegangen.

Luppe: Die Abgabe funktioniert nicht.

Woran liegt das?

Luppe: Sicher auch an den Regierungen vor Ort. Aber auch daran, dass Boehringer lange unbrauchbare Packungsgrößen geliefert hat und sich damit begnügt, die Packungen quasi mit dem Fallschirm abzuwerfen, ohne sich um Tests oder Infrastruktur zu kümmern.

Zimmer: Boehringer arbeitet mit NGOs zusammen und bietet das Produkt keinesfalls blindlings an.

Warum gibt Boehringer lieber seine Originalmedikamente umsonst ab, als den Import von Generika aus Ländern wie Indien zu erlauben?

Zimmer: Wenn es in armen Ländern wie Uganda ohnehin keinen Markt für die Medikamente gibt, verlieren die Pharmaunternehmen nichts mit einer kostenlosen Abgabe. Und was die Unterstützung für die notwendigen Rahmenbedingungen angeht, da arbeiten die Regierungen stärker mit forschenden Pharmakonzernen zusammen als mit den Generikaproduzenten in Indien.

Luppe: Für die Pharmakonzerne ist es attraktiver zu spenden, als Generika zu erlauben – denn damit hängen die Entwicklungsländer immer am Tropf der Pharmaindustrie.

Zimmer: Sie tun so, als müssten wir unsere Entwicklungen an wen auch immer aus der Hand geben. Es ist normal, dass man sich Partner selbst aussucht.

Zwischen den WTO-Mitgliedern umstritten ist eine Liste für die Medikamente, für die Generika-Importe aus Drittländern erlaubt sein sollen. Bisher stehen dort nur Aids, Malaria und Tuberkulose. Welche Medikamente fehlen?

Luppe: Die drei Krankheiten stehen beispielhaft für viele andere. In der WTO-Erklärung von Doha ist ausdrücklich von „Medikamenten für alle“ die Rede – ohne Einschränkungen auf bestimmte Epidemien. Auf die Liste gehören also auch Herzkreislauferkrankungen und Diabetes. Die Pharmaindustrie hat während des WTO-Treffens in Doha versucht, eine eingeschränkte Liste festzulegen. Es ist ihr nicht gelungen.

Zimmer: Wir halten nichts von einer Riesenliste. Es sollte gesagt werden: HIV, TB, Malaria und einige Epidemien von vergleichbarer Schwere. Das ist die Definition, die aus unserer Sicht in Doha auch gemeint war.