Herr Knöller träumt

Das Wandern ist des Bleistifts Lust: Unter dem Titel „Meerische Arbeit“ zeigt die Kunsthalle Grafiken und Zeichnungen von Paco Knöller

Spannung:Großer Schrank grüßtRiskante Euphorie

Vorsicht. Es gibt auch Gesichter. Aber wer einmal anfängt, nach ihnen zu suchen, wird so schnell nicht damit aufhören. Er geht dem Spiel und der Spinnerei der Linie nach, er vergisst die heftigen Offset-Farben und findet mehr und noch mehr Köpfe, Augen, Münder – am Ende sogar noch dort, wo gar keine sind. Oder sein sollten.

Denn das ist so eine Sache mit den Arbeiten des Grafikers Paco Knöller: Dass er beim Zeichnen „Realitätspartikel“ aufsammele, sagt der Professor an der Bremer Hochschule für Künste, und dass es etwas „unendlich Karges“ sei, „eine Linie zu ziehen“, die zugleich jedoch sofort beginne, „die Welt zu organisieren“. Dass diese Arbeit des Zeichnens mitunter allerdings „augenlos“ werde, sagt er aber auch, in der Kunsthalle, wo die Ausstellung „Paco Knöller – Meerische Arbeit“ am Sonntag eröffnet wurde. Und dass diese Momente des blinden Gestaltens „vielleicht“ die kostbarsten seien beim Zeichnen.

Man kann ihnen nachspüren, und das ist fast noch schöner als sich direkt auf die Holzschnitte einzulassen, die licht, aber doch einschüchternd groß im Entree-Bereich hängen. Also auf ins Kupferstichkabinett. Dort finden sich: Magmatische Blätter. Und das sind Traumlandschaften von brodelnder Innerlichkeit.

Der Linie hinterherwandern, über gebirgig geschwungene Wege ohne Absatz, jetzt wieder über Strichelchen springen, wie übers Blatt gespritzt. Sie müssen den Bleistift extrem strapaziert haben, womöglich ist zwischendurch die Mine gebrochen. Und dann, mittendrin in einer Serie aus dem Jahr 2001 – aber da muss man schon genau hinschauen, der ist so winzig – ein grau umrandeter Tropfen in Rot. Einfach da: Ein verschmitzter Witz. Und ist da nicht schon wieder ein Gesicht? Ein bärtiges liegendes Männergesicht mit geschlossenen Augen?

Also er, sagt Knöller, könne da jetzt keins erkennen. Und dass es ihm mit denen auch manchmal ein bisschen leid sei: „Weil dann alle immer nur nach den Gesichtern suchen.“ Knöllers Bilder sind viel freier, und wer sich aufs Anthromorphismen-Ratespiel verlegt, verschenkt mehr als die Hälfte der Schaulust. Aber geben tut es sie doch. Auch in den mächtigen Holzschnitten: Die sind zwar immer noch groß, aber nach dem Besuch der turbulenten Zeichnungen scheinen sie gar nicht mehr so Ehrfurcht heischend.

Waren sie es je? Oder hatte nur der Katalogtext abgeschreckt? Knöller habe, schreibt Kustodin Anne Buschhoff, „lyrisch-sphärische Räume geschaffen.“ Kugelige Räume? Schon sehr lyrisch das. Aber die „spannungsreichen Lineamente“, die lassen sich gut entdecken. Beispielsweise diese beiden: Wie ein Echo, vom Holzstock eines der drei Großen Schränke – links – rückgespiegelt als Element einer Riskanten Euphorie – die hängen rechts – grüßen sie einander, quer durch den hellen Saal, wie zwei, die sich herzlich gut sind. Und unterm Azurblau der Meerischen Arbeit ruhen Gesichter: Augen zu, Mund zu, traumverloren.

Benno Schirrmeister

Kunsthalle, bis 27 Juni