„Fahrverbote haben keine hohe Priorität“

Mit Klagen wegen Dieselrußes lasse sich der Autoverkehr nicht lahmlegen, sagt Umweltrechtler Albrecht. Kommunen müssten aber reagieren

INTERVIEW BENJAMIN HUG

taz: Wegen der Belastung mit Dieselruß wollen Umweltverbände Fahrverbote für Pkws und Lkws per Klage erzwingen. Wie groß sind ihre Chancen?

Eike Albrecht: Die Ausgangslage ist folgende: Grundsätzlich gilt im deutschen Verwaltungsprozessrecht der Grundsatz des Individualrechtsschutzes. Das bedeutet, der Kläger muss ein schützenswertes Interesse nachweisen können. Umweltverbände können das nicht, sie sind ja nicht betroffen. Anwohner hingegen können sich auf die Immissionsgrenzwerte berufen, weshalb die Umweltverbände mit den klageberechtigten Betroffenen kooperieren. Auf der anderen Seite sind die Städte als zuständige Behörden eindeutig verpflichtet, Maßnahmen zur Luftreinhaltung zu ergreifen – und zwar so, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Tun sie das nicht, verstoßen sie gegen den Artikel 20 des Grundgesetzes. Der besagt, dass die Verwaltung an Gesetz und Recht gebunden ist. Die juristisch interessante Frage ist jedoch, was rechtswidriges Handeln einer Verwaltung ist.

Wie kann man das klären?

Nicht mit einer Klage, die Fahrverbote zum Ziel hat. Die Industrieverbände behaupten zum Beispiel, Fahrverbote für Lkws wären rechtswidriges Handeln einer Verwaltung. Gerichte werden die Städte nur dazu verpflichten, „geeignete Maßnahmen“ zur Einhaltung der Grenzwerte zu ergreifen. Was „geeignete Maßnahmen“ sind, bleibt aber behördlicher Ermessensspielraum. Fahrverbote stehen wegen der komplexen Rechtslage nicht oben auf der Prioritätenliste.

Die Deutsche Umwelthilfe will mittels einstweiliger Verfügungen die Einhaltung der Grenzwerte erzwingen. Ist das erfolgversprechend?

Einstweilige Verfügungen bringen in erster Linie eine schnellere gerichtliche Entscheidung. Das kann natürlich nur gut sein, geht es doch um den gesundheitlichen Schutz der Anwohner. Zwar tragen solche Entscheidungen nur vorläufigen Charakter. Aber damit wird der öffentliche Druck erhöht. Mehr allerdings auch nicht: Einen Automatismus „Klageerfolg gleich bessere Luftqualität“ gibt es nicht.

Falls Klagen nichts bringen – welche Alternativen haben die Betroffenen?

Setzen die Städte europäisches Recht nicht in der Praxis um, droht der Bundesrepublik ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof EuGH. Die Kommission hat schon deutlich gemacht, dass sie der Missachtung ihrer Luftreinhalterichtlinie nicht tatenlos zusehen wird. Für individuellen Rechtsschutz ist der EuGH hier jedoch nicht zuständig. Das bedeutet: Für die Gesundheit der Anwohner sind die nationalen Gerichte zuständig. Werden die Behörden nicht von selbst tätig, bleibt nur der Weg zu den deutschen Verwaltungsgerichten.

Wie werden sich Ihrer Meinung nach Städte gegen die Klagen von Anwohnern und Umweltverbänden wehren?

Die beklagten Städte müssen aktiv werden für einen Anwohnerschutz gegen Feinstaub. Zwar könnten sie gegenüber Klagen von Umweltverbänden fehlende Antragsbefugnis einwenden. Das wird sie aber nicht von dem Problem entbinden. Deshalb rate ich den Städten, sich im Klagefall konstruktiv mit der Gegenseite auseinander zu setzen.