„Ich bin unpolitisch“

Christoph Stölzl

„In der Sache ‚8. Mai‘ meine ich, was jeder vernünftige Mensch in Deutschland meint. Die Schuld ging von den Deutschen aus, und der Holocaust war geschichtlich einzigartig“

Im bayerischen Westheim bei Augsburg wurde Christoph Stölzl 1944 geboren. 1987 war er Mitbegründer und Leiter des anfangs misstrauisch beäugten, später hoch gelobten Deutschen Historischen Museums. Fünf Jahre später war der „Berater von Helmut Kohl“ federführend bei der Umgestaltung der Neuen Wache Unter den Linden. Bis zum Platzen der großen Koalition 2001 führte Stölzl ein Jahr lang die Berliner Kulturverwaltung. Erst kurz zuvor trat er in die CDU ein, deren Landeschef er 2002/03 war. Der heutige Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, Professor mit Senatoren-Rente, lobt bei der Begrüßung die niedrigen taz-Gehälter. Das sei vernünftig in einer Zeit, in der das Gut Arbeit knapp werde. Gereicht wird ein Mineralwasser.

INTERVIEW MATTHIAS LOHRE

taz: Herr Stölzl, ich wurde davor gewarnt, mit Ihnen ein Interview zu führen.

Christoph Stölzl: Warum das denn?

Angeblich flutschen Sie jedem Gesprächspartner weg. Wenn jemand Sie etwas fragt, antworten Sie eine halbe Stunde lang. Und hinterher weiß das Gegenüber nicht mehr, was es Sie gefragt hat. Sind Sie ein Chamäleon?

Ach Unsinn. Ich antworte gern gründlich.

Dann stelle ich Ihnen eine Frage, von der ich hoffe, dass Sie sie mir in einem Satz beantworten: Wie geht es Ihnen?

Mir geht’s gut, weil ich in Berlin leben darf, der interessantesten und unterhaltendsten Stadt Deutschlands.

Vor rund 20 Jahren sind Sie, ein Katholik aus großbürgerlichem Elternhaus, von Bayern nach Berlin gezogen. Die Zeit nannte Sie voller Unverständnis einen „linksliberalen Brausekopf“ aus München, der in Berlin plötzlich als „geschichtspolitischer Festlandsdegen des konservativen Bundeskanzlers“ Kohl beargwöhnt wurde. Ist da was dran?

Im konservativen Bayern Ende der 70er-Jahre das Etikett „links“ zu bekommen, war nicht so schwer. Als ich 1987 nach Berlin kam, wurde ich als bekennender Bürger automatisch nach rechts gerückt. Dafür musste ich gar nichts tun. Kulturpolitisch gesehen bin ich ein europäisch gesinnter Liberaler.

Das heißt …?

Das heißt, dass ich Lust am öffentlichen Austragen von Streitigkeiten habe: in Fragen der Kultur, des Geistes und in allen Fragen des ästhetischen Ausdrucks.

Viele empfinden Sie trotzdem als Konservativen. Nicht zuletzt, weil Sie mit massiver Unterstützung von Helmut Kohl 1987 das Deutsche Historische Museum gründeten.

Als Gründungsdirektor des DHM habe ich fröhlich mitgemischt bei Scharmützeln über seinen Sinn. Wir wollten die Frage beantworten: Woher kommen wir, auf welchem Fundament ruht die Nation? Die Intensität des Streits um die Frage „Was ist deutsche Geschichte?“ kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Christian Ströbele hat im Oktober 1987 versucht, die Gründungsfeier im Reichstag mit einem Lachsack zu stören. Der Sack wurde aber nicht bei ihm vermutet, sondern bei Eckart Hien, dem heutigen Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts. Der bekam schließlich Ärger mit den Ordnern. Ein sehr komischer Beginn!

Ein dumpf-deutsches Walhalla ist das DHM ja tatsächlich nicht geworden. Für Ihre Ausstellungen über Bismarck oder die „Mythen der Nationen“ haben Sie großes Lob bekommen. Warum haben Sie dann 1999 den Museumsdirektorposten abgegeben? Sie hätten doch ein zurückgelehntes Gelehrtenleben führen können.

Ich hatte das Gefühl, die Schienen im Museum sind gelegt, jetzt kann nichts mehr schief gehen. Zum Schluss gab es noch einen unglaublichen Glücksfall: den I.-M.-Pei-Anbau. Der war übrigens nur möglich durch das enorme Engagement von Helmut Kohl. Mitten im Sparexzess zur Einhaltung der Maastricht-Kriterien machte er das Baugeld locker, und auch die SPD im Bundestag …

Entschuldigung, aber Sie schweifen ab.

Ach ja, warum ich das DHM verlassen habe: Alle sprechen von Mobilität. Ich habe sie praktiziert. Mit Mitte fünfzig hatte ich Lust, noch einmal ein ganz neues Feld zu erobern. Eigentlich war es, ohne dass ich das klar wusste, schon ein Schritt in Richtung Politik. In die Berliner Kulturpolitik war ich übrigens schon 1994 geraten, als Mitglied des „Rats für die Künste“. Viele Kulturleute meinten, ich sollte als Postillon d’amour nach Bonn fahren, um bei Regierung und Parlament Lobby für Berlins Kultur zu machen. Bei Helmut Kohl habe ich für einen Hauptstadtkulturfonds geworben. Über sein Zustandekommen bin ich übrigens sehr glücklich.

Ist Helmut Kohl ein Freund?

Freundschaft ist ein großes Wort. Wir hatten einfach viele Anknüpfungspunkte: Wegen Kohls Interesse am Museum gab es freundschaftliche Gespräche. Dann kam Anfang der 90er-Jahre die Neugestaltung der Neuen Wache, und die Bekanntschaft vertiefte sich. Die oberflächliche Kulturkritik von Intellektuellen an Kohls angeblicher Provinzialität hat mich nie interessiert. Es gibt eine Faustregel, wenn man Historiker ist: Wer Bundeskanzler wird, ist ein interessanter Mann, dem zuzuhören sich lohnt. Kohls große Leistung ist die endgültige Europäisierung Deutschlands, der Schlussstrich unter alle nationalen Alleingänge.

Und was ist mit dem Titel „Kulturberater des Kanzlers“, der Ihnen zugeschrieben wurde?

Unsinn. Ich habe sicher aktiv an der „Geschichtspolitik“ mitgewirkt: bei der Mauergedenkstätte, bei der Neuen Wache, beim „Denkmal für die ermordeten Juden“. Aber meistens war ich der Fragende. Helmut Kohl sagte manchmal, wenn ich ihn besuchte: „Wenn der Herr Stölzl kommt, bin ich um ein paar Millionen ärmer.“

Letztlich hat es Sie aber doch zur CDU gezogen. Nach nur vier Monaten bei der Welt holte Sie Eberhard Diepgen im Jahr 2000 als Kultursenator in seine Regierung.

Die Medien meinten damals tatsächlich, mit der Kulturpolitik stehe und falle der Berliner Senat. Tatsächlich scheiterte die große Koalition natürlich wegen ganz anderer Dinge. Als ich im April 2000 anfing, übrigens als Parteiloser, war ich kulturpolitisch ganz idealistisch. Ich hoffte, dass sich die noch heute aktuelle Frage „Wie geht ein föderalistisches Land Berlin mit seinem zentralstaatlichen Erbe um?“ überparteilich beantworten ließe. Auch wegen meiner Heimat in der Kunstszene glaubte ich, da einiges bewegen zu können. Aus der Sicht von mit allen Wassern gewaschenen Parteipolitikern war ich „unpolitisch“, und das bin ich bis heute.

Warum wird ein unpolitischer Mensch erst Senator, dann, mit 57 Jahren, CDU-Mitglied und schließlich sogar Berliner Landesvorsitzender seiner Partei?

Ich fand, dass ich in der Stadt, der ich so viel verdankte, etwas zum Guten bewegen sollte. Wenn „unpolitisch“ heißt, dass man sich zwar im Räderwerk von Parteipolitik auskennt, dennoch aber idealistische Sachpolitik für den besseren Weg hält – dann lasse ich mich gern „unpolitisch“ nennen. In die CDU einzutreten fiel übrigens nicht schwer. Längst ist die Union eine liberale Sozialstaatspartei. Und ich war ja, trotz Parteilosigkeit, in der Koalitionsarithmetik ein CDU-Senator.

Wenige Monate später stürzte die CDU/SPD-Koalition.

Peter Strieder sagte mir am Tag der Abwahl: „Warum waren Sie so blöd, dass Sie in die CDU eingetreten sind? Sonst hätten Sie Senator bleiben können.“ In der Tat fand ich es unkorrekt, dass der Einzelantrag zu meiner Abwahl mit dem Bankenskandal begründet war. Ich musste gehen, weil ich CDU-Mitglied war, nicht wegen mangelnder Qualität meiner Arbeit als Kultursenator. Aber so ist nun mal das politische Geschäft.

Die Berliner CDU steckt seit Monaten in der Krise, nicht zuletzt wegen der Geschehnisse in Steglitz-Zehlendorf. Wie halten Sie es als „Radikalliberaler“ aus in dieser Partei?

Nicht „die Partei“, sondern einzelne Sprecher waren in einem problematischen Geschichtsdiskurs verwickelt. Er hat sich, unglücklich genug, kurzfristig mit den bei der Südwest-CDU traditionell starken innerparteilichen Konkurrenzen vermischt. Ich bin kein Teil dieser Parteifraktionen und will es auch nicht sein. In der Sache „8. Mai“ selbst meine ich, was jeder vernünftige Mensch in Deutschland meint. Unsere Bundespräsidenten von Heuss über Weizsäcker zu Herzog haben es alle ähnlich formuliert: Die Schuld ging von den Deutschen aus, und der Holocaust war geschichtlich einzigartig.

Da entkoppeln Sie aber das große Ganze – Holocaust und 8. Mai – vom ganz Konkreten: Die Aussagen von Herbert Weber, dem Bürgermeister von Steglitz-Zehlendorf, zu „Auschwitz als Erinnerungsreligion“ stehen weiter im Raum.

Das Notwendige dazu ist gesagt und übrigens auf dem Kreisparteitag der Steglitz-Zehlendorfer CDU durch einen Beschluss bekräftigt. Die Partei teilt nicht die Gedanken über eine angebliche „Erinnerungsreligion“ und auch nicht über die Desertion im Zweiten Weltkrieg.

Hat die Berliner CDU bei den Abgeordnetenhauswahlen 2006 eine Chance, wieder an die Macht zu kommen?

Ich halte das, was die CDU in Berlin an Sacharbeit leistet, für Berlin-tauglicher als die Angebote der anderen Parteien: Wirtschaftspolitik, Gewerbesteuer, Entbürokratisierung, Kulturpolitik, Wissenschaftspolitik.

Und bei den Themen Gemeinschaftsschule und Werteunterricht?

Das dreigliedrige Schulsystem ist nach meiner Meinung das bessere Mittel, um Begabungen zu fördern. Aber klar ist natürlich auch, dass die Hauptschule von der Funktion einer „Restschule“ erlöst werden muss. Das gilt für Berlin ebenso wie für Bayern. Als Bayer finde ich auch, dass nichts über einen regulären Religionsunterricht geht – erteilt durch wissenschaftlich Qualifizierte. Und zwar in allen Religionen. Ohne Religion, und sei es auch nur als Durchgangsphase während der Kindheit und Jugend, ist das Leben ärmer.